Bildungsweise

Susanne Posselt

Leopoldina

Bei Twitter Deutschland liegen heute zwei Hashtags besondere im Trend: #Leopoldina und #Schulen. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen bislang noch nie etwas von der „Leopoldina“ gehört haben und gar nicht wissen, was sich hinter diesem klingenden Namen verbirgt. Auch ich bin erst in den letzten Tagen auf diese Institution aufmerksam geworden, nachdem Stellungnahmen in Zusammenhang mit der Corona-Krise durchs Netz gegeistert sind. Die Leopoldina, gegründet 1652 als Deutsche Akademie der Naturforscher, ist seit 2008 die Nationale Akademie der Wissenschaften, deren Aufgabe es ist, die Politik und die Öffentlichkeit zu beraten. Die Stellungnahmen dieser Institution sind also wichtig, um zu verstehen, auf welcher Grundlage, Politiker in unserem Land ihre Entscheidungen treffen.

Heute liegt die #Leopoldina im Trend, weil sie zum dritten Mal eine Stellungnahme mit Empfehlungen veröffentlicht hat, in der es diese Mal um die psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Aspekten der Pandemie geht. Im Klartext: Es geht auch um die Frage, ob, wann und wie die Schulen und Kindertagesstätten wieder öffnen können. Ich möchte in diesem Beitrag keine Diskussion darüber anstoßen, ob und wie die Empfehlungen umsetzbar sein werden. Es wird Aufgabe der Politiker auf Bundes- und Landesebene sein, Maßnahmen aus den Empfehlungen abzuleiten, die letztlich von den Schulträgern und Schulen vor Ort umgesetzt werden müssen. Ich möchte an dieser Stelle nur die für die Schulen relevantesten Textpassagen zitieren, damit wir uns schon einmal darauf einstellen können, was auf uns zukommen könnte:

„Die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen sollte sobald wie irgend möglich erfolgen, und zwar schrittweise und nach Jahrgangsstufen differenziert. Dabei müssen die jeweiligen Gegebenheiten in der einzelnen Bildungseinrichtung berücksichtigt werden. Alle Maßnahmen sind auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Testung und die Konsequenz der Quarantäne umzusetzen. Für eine längere Übergangszeit wird gelten, dass eingeschränkte, wenn auch schrittweise erweiterte Formen von Betreuung und Unterricht akzeptiert werden müssen, um das weiterhin erhebliche Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Auf diese Übergangszeit beziehen sich die folgenden Empfehlungen.

Kinder im Grundschulbereich (Primarstufe) benötigen die meiste Unterstützung und Anleitung, Eltern sind hier stärker auf Betreuungsleistungen der Schulen angewiesen. Entsprechendes gilt auch für Kinder, die sich in Kitas befinden. Die schrittweise Normalisierung muss mit deutlich reduzierten Gruppengrößen be-gonnen werden, um das Abstandsgebot besser einhalten zu können. Zu empfehlen ist eine Konzentration auf Schwerpunktfächer (Deutsch und Mathematik in der Grundschule), die in aufgeteilten kleineren Grup-pen einer Klasse zeitversetzt unterrichtet werden. Lerngruppen müssen dabei konstant bleiben, um das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Eine Gruppengröße von maximal 15 Schülerinnen und Schüler wäre möglich, wenn entsprechend große Klassenräume zur Verfügung stehen. Die so geschehene Öffnung muss für die Eltern verlässlich sein. Eine gestaffelte Pausenregelung für die einzelnen Gruppen ist notwendig. Der Schulhof darf nicht zum Austauschort für Viren werden. Die Öffnung der Grundschule sollte mit den Kindern in den Abschlussklassen der Primarstufe begonnen werden, damit sie auf den Übergang in die weiterführenden Schulen vorbereitet werden können. Danach folgen stufenweise die vorangehenden Jahrgangsstufen. Die Notfallbetreuung für die jüngsten Jahrgänge kann dementsprechend langsam zurückgenommen werden.

Im Bereich der Kindergärten und Kindertagesstätten sollte dieser Logik entsprechend ein Regelbetrieb mit reduzierten Gruppengrößen (max. 5 Kinder pro Raum) am Übergang zur Grundschule (5-6-Jährige) stattfinden. Es sollten alle Anstrengungen – auch in den Sommerferien – unternommen werden, um diese Kinder so gut wie möglich auf den Übergang in die weiterführende Schule vorzubereiten. Da kleinere Kinder sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können, sollten die Kitas für die jüngeren Jahrgänge bis zu den Sommerferien weiterhin im Notbetrieb bleiben. Bei den Horten gilt ebenfalls die Aufrechterhaltung der Notfallbetreuung. Dies setzt voraus, dass berufstätige Eltern weiterhin durch eine sehr flexible Handhabung von Arbeitszeiten und -orten sowie finanziell unterstützt werden.

In Bildungsgängen, in denen am Ende der Sekundarstufe I zentrale Abschlussprüfungen stattfinden, sollte der Schulbetrieb zunächst in jenen Jahrgangsstufen aufgenommen werden, die vor dem Abschluss stehen. Bei allen weiteren Jahrgängen ist ein gestuftes Vorgehen mit reduzierter Stundenzahl und mit Konzentration auf die Kernfächer (Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen) zu empfehlen. In einer weiteren Stunde pro Tag können von den Schülerinnen und Schülern erledigte Arbeitsaufträge überprüft und kommentiert werden. Diese Stunde kann auch genutzt werden, um neue Arbeitsaufträge zu vergeben, welche die Schülerinnen und Schüler in Heimarbeit erledigen. Diese Arbeiten müssen sich nicht auf die Kernfächer beschränken, sondern können die Inhalte der anderen Fächer aufnehmen.

Da die Möglichkeiten des Fernunterrichts mit zunehmendem Alter besser genutzt werden, kann die Rückkehr zum gewohnten Face-to-Face-Unterricht in höheren Stufen des Bildungssystems weiter hinausgeschoben werden. In der gymnasialen Oberstufe kann in höherem Maße auf das selbstorganisierte Lernen der Schülerinnen und Schüler, auf der Basis digitaler und analoger Lernmedien, gesetzt werden. Die Bereitstellung der Materialien und Rückmeldungen zu den Lernergebnissen liegt in der Verantwortung der Lehrerin-nen und Lehrer.

(…)

Generell gilt es, die Prüfungsmöglichkeiten auf allen Bildungsetappen aufrechtzuerhalten. Auch sollte die Unterbrechung des gewohnten Unterrichts und der außerhäuslichen Betreuung, die damit verbundene Unterbrechung sozialer Kontakte zu Gleichaltrigen und das Krisenhafte der Gesamtsituation nach Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen aufgegriffen werden. Das Angebot digitaler Unterrichtsmaterialien muss vergrößert und leicht zugänglich gemacht werden. Für alle Bildungsstufen sollten als Folge der Krise didaktisch gut aufbereitete Angebote für das „Selbst- und Distanz-Lernen“ ausgebaut und auch überregional verfügbar gemacht werden. Weiterhin sollten kompensatorische Maßnahmen beispielsweise in den kommenden Sommerferien, angeboten werden, um negative Auswirkungen auf das Erreichen jahrgangsspezifischer Bildungsstandards, den Übergang zu weiterführenden Schulen und den Abschluss von Prüfungen zu minimieren. Diese Maßnahmen sind von besonderer Bedeutung für leistungsschwache Schülerinnen und Schüler und können zur Abmilderung sozialer Ungleichheit führen. Festzuhalten ist aber auch, dass die Krise den Digitalisierungsschub im Bildungsbereich beschleunigt, der zur Verbesserung der digitalen Ausstattung der Institutionen, der digitalen Kompetenzen von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern sowie zur schnelleren Entwicklung von Konzepten und Programmen zur Nutzung von digitalen Methoden und Medien im Unterricht und im Bildungswesen überhaupt führen wird. Damit ist verbunden, dass die erheblichen Vorzüge und Grenzen von Digitalisierung im Bildungswesen genauer erfahren und – im Nachgang, auch durch wissenschaftliche Begleitforschung – in ihren Nutzungsmöglichkeiten präzisiert werden können. In der Krise wird sichtbar, wie wichtig es ist, digitale Möglichkeiten zur Substituierung und/oder Ergänzung des Präsenzunterrichts zu entwickeln. Es gilt, den Einsatz moderner didaktischer Methoden und Mittel nach der Krise weiterzuentwickeln.

Ad-Hoc-Stellungnahme der Leopoldina vom 13.4.2020: Coronavirus-Pandemie: Die Krise nachhaltig überwinden

Es geht in der Stellungnahme auch noch um weitere Bereiche, wie etwa eine Optimierung der Entscheidungsgrundlage für alle Maßnahmen, indem mehr Menschen auf ihre Immunität getestet werden. Auch soll durch eine genauere Datenanalyse eine realistischere Abschätzung des eigenen Risikos ermöglicht werden. Darüber hinaus wird betont, dass psychische und soziale Auswirkungen abgefedert und die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen im Hinblick auf andere Rechtsgüter soll differenzierter betrachtet und geprüft werden müssen.

Hoffen wir, dass unsere politischen Vertreter in den kommenden Tagen Augenmaß und Verantwortlichkeit bei den zu treffenden Entscheidungen bewahren können.

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