Bildungsweise

Susanne Posselt

Erinnerungen für morgen

In diesen Tagen denke ich erstaunlich oft an meine Oma. Eigentlich hatte ich mir ja für dieses Wochenende vorgenommen, endlich einmal übers Lernen zu schreiben. Die Frage, wie man lernt und was man lernt und was man überhaupt lernen sollte, treibt mich schon sehr lange um. Aber während ich so übers Lernen nachdachte, schlich sich immer meine Oma in mein Bewusstsein. Meine Oma, das war die Mutter meiner Mutter, lebte gleich gegenüber von meinem Elternhaus, unsere Gärten waren miteinander verbunden und ich bin mir ihr und dem dazugehörigen Opa aufgewachsen. Meine Eltern hatten in den Jahren vor meiner Geburt mit sehr wenig Geld und sehr viel Eigenleistung im Garten meiner Großeltern ein Haus gebaut und mussten jeden Pfennig zweimal umdrehen. Deshalb ging meine Mutter arbeiten und meine Oma passte währenddessen auf mich auf. Der Opa passte mit auf, aber eigentlich war der Opa derjenige, der irgendwo herumwerkelte oder spazieren ging. Er hatte eine Werkstatt, in der sich eine Treppe befand, die zu einem Heuboden führte. Im Sommer mähte er Gras für seine Kaninchen, das er dann auf diesem Heuboden lagerte und ansonsten war er fürs Kartoffelschälen zuständig. Ich sehe ihn noch dort sitzen, auf dem Stuhl in der winzigen Küche, wo er mit einem kleinen Messer die Kartoffeln schälte. Meine Mutter schälte die Kartoffeln mit einem Kartoffelschäler und ich weiß noch, wie ich ihn immer dafür bewunderte, dass er das konnte: Kartoffeln mit einem Messer schälen. Für den Haushalt war ansonsten meine Oma zuständig. Beiden gemeinsam war, dass sie auf mich aufpassten, indem ich einfach dabei war und sie mich an ihrem Alltag teilhaben ließen.

Meine Oma war eine einfache Frau und, soweit ich das im Rückblick beurteilen kann, eher unpolitisch. Ihr Leben bestand im Wesentlichen aus harter Arbeit. Sie stammte aus einem niederschlesischen Dorf und gehörte zu den Jahrgängen, die zwei Weltkriege erlebt hatten. Geboren 1909, war sie selbst insgesamt nur vier Jahre lang zur Schule gegangen, das musste reichen. Ihre Arbeitskraft wurde in der kleinen Selbstversorger-Landwirtschaft gebraucht, die in großen Teilen durch die Frauen bewältigt wurde, weil die Männer zu jener Zeit schon in den Fabriken zur Arbeit gingen oder in den Krieg ziehen mussten. Obwohl sie zahlreiche Verluste und Entbehrungen erlitten hatte, war sie dennoch optimistisch und positiv gestimmt. Sie war lustig, warmherzig, fürsorglich und klagten selten. Und ich habe viel von ihr gelernt. Fürs Leben.

Wahrscheinlich denke ich in letzter Zeit deshalb so oft an meine Oma, weil ich mehr und mehr zu der Überzeugung gelange, dass wir als Eltern unseren Kindern und als Lehrer*innen unseren Schüler*innen viel mehr davon erzählen sollten, wie die Lebensrealität unserer Vorfahren noch vor wenigen Generationen aussah: Dass sie nichts oder wenig besaßen und auf die Solidarität anderer angewiesen waren. Dass ihr Leben aus sehr viel Arbeit und Mühe bestand. Dass Leid und Tod ständige Begleiter waren. Dass die Zukunft alles andere als sicher war. Und dass all das die Menschen seinerzeit nicht daran hinderte, Glück zu empfinden und optimistisch nach vorne zu blicken. Trotz allem. Wir sollten uns wohl ein Beispiel daran nehmen.

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