Ein ganzes Jahr. So lange ist es jetzt her, dass ich meine Blase verlor. Unwiederbringlich. Für immer. Heute vor einem Jahr begann mein zweites Leben. Am 15. Juli 2024. Genau einen Monat vor meinem 50. Geburtstag.
Neulich fragte mich jemand, ob es mir denn gut gehe. Ich kann nicht behaupten, dass ich derzeit noch besonders oft danach gefragt würde. Man sieht mir nichts an, ich bin meistens gut gelaunt und fülle meinen Alltag mit allen möglichen Aktivitäten aus. Dabei liebe ich meine Arbeit und genieße mein Leben. Viele Tage rauschen (im positiven Sinne) einfach so vorbei. Oft vergesse ich sogar selbst, dass ich noch vor einem Jahr komplett aus diesem rauschenden Alltag herauskatapultiert war. Und erst seit Februar bin ich komplett zurück. Ein halbes Jahr. Erst.
Häufiger begegnen mir Nebensätze. Nach einem Gruß, wie: „Schön dich zu sehen!“ und der Frage: „Wie geht es dir?“, folgt ein Nebensatz. Etwa: „Du bist ja wieder viel unterwegs.“ Oder: „Schaffst du das denn alles?“ Oder: „Ich hoffe, du achtest auf dich.“ Ich weiß selbst oft nicht so genau, welchen Zweck diese Nebensätze haben. Ist es Sorge? Echtes Interesse? Ungläubigkeit, dass man so schwer erkrankt gewesen und nun schon wieder voll im Leben stehen kann?
Ich muss gestehen: Mir kommt es manchmal so vor, alt relativierten diese Nebensätze das echte und bedingungslose Interesse an meinem Wohlbefinden. Sie geben sich nicht mit meiner positiven Antwort zufrieden. Denn meine Antwort lautet oft: Es geht mir gut. Und weil ich weiß, dass das allein vielen nicht reicht, ergänze ich selbst Nebensätze, wie etwa: „Natürlich spüre ich hin und wieder Nebenwirkungen meiner Immuntherapie.“ Und ja, ich bin auch manchmal traurig, weil ich nicht mehr so ganz so unbeschwert leben kann wie früher. Weil die Behinderung nicht mehr weggeht. Weil ich mein Leben lang auf Hilfsmittel angewiesen sein werde. Weil meine regelmäßige Korrespondenz mit der Beihilfe und mit der Krankenversicherung nun zu meinen alltäglichen Pflichten gehört. Weil ich eine kleine grüne Karte mein eigen nenne, auf der „Schwerbehindertenausweis“ steht. So ist das. Es ist nicht so, dass ich nicht manchmal damit hadere. Und dennoch geht es mir gut.
Die Gleichzeitigkeit von Schmerz und Glück
Ein Psychoonkologe unterstützte mich während meiner Zeit im Krankenhaus. Ein Satz von ihm ist mir in Erinnerung geblieben. Er lautet: “Es gibt eine Gleichzeitigkeit von Schmerz und Glück.”
Man kann gleichzeitig traurig und glücklich sein. Wütend und dankbar. Belastet und befreit. Ängstlich und mutig. Ich bin dankbar, dass man mir helfen konnte. Dass man dem Krebs in mir zu Leibe rücken konnte. Ihn aus mir herausschneiden konnte. Dass man ein so komplexes Organ wie eine Blase nachbauen kann. Aus eigenem Körpergewebe. Dass es Medikamente gibt, die ein Immunsystem dazu anregen, neue Krebszellen selbst zu bekämpfen. Verrückt und unfassbar. Dass ich in einem Land lebe, wo all das zur Verfügung steht.
Und dennoch: Eine Krebsdiagnose ist ein Einschnitt. Wir alle wissen, dass diese aus dem Ruder gelaufenen Zellen unbarmherzig sein können. Dass sie einfach weiterwachsen können. Sich irgendwo verstecken können. Dass sie heimtückisch und unkontrollierbar sein können. Unbehandelt hätte meine Diagnose sehr sicher zu einem beschleunigten Tod geführt. Ich hätte noch ein Jahr gehabt. Eher weniger. Wir alle wissen: Das Leben ist endlich. Aber ich wollte noch nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht so.
Erkenntnisse an der Grenze des Lebens
Vor einem Jahr hatte ich Angst. Sie war laut und ich konnte sie nicht wegschieben. Manchmal musste ich weinen. Oft schrieb ich gegen sie an. Und dann beschloss ich, sie anzunehmen und gleichzeitig mutig zu sein. Ich füllte die Angst innerlich in ein großes Gefäß und atmete um sie herum. Heute vor einem Jahr – Am Morgen der Operation war ich ganz ruhig. Der Narkosearzt war gut gelaunt und machte Witze. Er brachte mich zum Lachen. Dann schlief ich weg. Erst am Tag danach wachte ich wieder auf. Die ersten Tage liegen im Nebel. Ich hatte keine Schmerzen. Mein Körper funktionierte weiterhin. Und: Es war vorbei. Die Angst wurde kleiner und kleiner. Mein Mut kroch hervor und sagte zu mir: „Hey, mal sehen, was alles geht!“ Ich nahm mein Leben 2.0 an, nahm es in die Hand und lief los. Nun eben ohne Blase.
Seither nehme ich es, wie es kommt. Ich lebe. Ich arbeite. Ich reise. Ich feiere. Ich erhebe meine Stimme. Ich engagiere mich für das, was mir wichtig und wertvoll ist. Nun eben ohne Blase. Die Angst ist nicht weg. Sie schlummert irgendwo in mir drin. Mein Mut hüllt sie ein und ich weiß genau: Sie wird mein Leben 2.0 nicht bestimmen.
Leena Mittwoch, 16. Juli 2025
Danke Dir für das Lautsagen, ehrlich und so offen. Und welch ein kluger Satz vom Onkologen. Es ist auch mutig und tröstend zu hören, wie Du trotz allem in Deinem Leben weiter Dinge tust und tun willst, die Dir am Herze liegen. Alles Gute und viel Kraft weiterhin auch auf Deinem Weg im neuen Alltag.
Jan Donnerstag, 7. August 2025
Ganz viel Liebe!
Freue mich auf unser nächstes Treffen!