Bildungsweise

Susanne Posselt

Eine Herbstlernreise

Wie aus einer Planänderung eine unerwartete Lernreise wurde.

Eine Geschichte über den Wert virtueller Vernetzung von Lehrer:innen und Menschen in pädagogischen Berufen und über professionelles Lernen in der 3. Phase der Lehrer:innenbildung.

Eigentlich

Ich bin ja bekanntermaßen Gewerkschafterin und Mitglied in der Bundesfachgruppe Gesamtschulen.

Eigentlich wäre ich in den baden-württembergischen Herbstferien in Hannover gewesen. Dort hätte eine Tagung der GEW-Bundesfachgruppe stattfinden sollen. Ich hatte mich darauf gefreut, den Blick über den Tellerrand und den kollegialen Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Bundesländern empfinde ich immer als sehr bereichernd.

Wir hätten uns ausgetauscht, uns gegenseitig über die Situation unserer Schulen in den verschiedenen Bundesländern informiert, Themen, die uns alle angehen, diskutiert und Anträge an den Hauptvorstand dazu formuliert. Am Freitag hätten wir eine Gesamtschule in Hannover besucht und uns danach über deren Konzept ausgetauscht. Erst sonntags wären wir alle nach dem Frühstück wieder in unsere Heimatbundesländer zurückgefahren.

Doch es kam anders.

Am Mittwoch musste die Fachgruppentagung wegen zu zahlreicher Krankheitsfälle abgesagt werden. Sie wurde aufs Wesentliche gekürzt und auf Samstagmorgen in den virtuellen Raum verlegt. Ich war jedoch bereits auf halbem Weg in meiner Heimatstadt und hatte mich für Donnerstag zu einem kollegialen Austausch mit Jan Haurand an der Gesamtschule Lippstadt verabredet. Plötzlich hatte ich zwei Tage Zeit, die ich nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte.

Im Himmel angekommen: Das virtuelle Lehrerzimmer #BlueLZ

Ich beschloss, dennoch nach Lippstadt zu fahren und suchte mir für die folgende Nacht eine Unterkunft in Köln. Dort wollte ich schon länger mal wieder hin und es erschien mir sinnvoller, von Köln aus dann freitags wieder den Weg nach Hause anzutreten. Gleichzeitig verabredete ich mich über Bluesky spontan mit Martina und Daniel, beide kenne ich aus dem Twitterlehrerzimmer, einem virtuellen Lehrerzimmer, das sich vor allem in Pandemiezeiten beim Kurznachrichtendienst Twitter mit Rat und Tat zur Seite stand. Zwar gibt es das Twitterlehrerzimmer in der ursprünglichen Form nicht mehr, die Community besteht aber weiterhin und ist inzwischen auf andere Plattformen umgezogen. Einige sind im Fediverse auf Mastodon unterwegs, manche bei Instagram, viele haben sich mittlerweile in sozialen Netzwerk „Bluesky“ versammelt. Lehrer:innen tauschen sich dort über den gleichnamigen „Feed“ aus, der alles sammelt, was unter dem Stichwort #BlueLZ, #fedilz oder #twlz gepostet wird. Auch Jan von der Gesamtschule Lippstadt kenne ich aus diesem „virtuellen“ Lehrerzimmer.

So fiel zwar meine Tagung aus, es begann aber eine kurzfristig umgeplante Lernreise, die ohne meine langjährige virtuelle Vernetzung in dieser Form niemals hätte stattfinden können.

In den folgenden Beiträgen nehme ich euch nun auf diese Reise mit.

Eine Schule für alle im Lipperland

Die Gesamtschule Lippstadt umfasst die Jahrgangsstufen 5 bis 13 und verfügt über einen wunderschönen Neubau mit Bibliothek, geräumigen Fluren mit Aufenthaltsbereichen und eine Aula, die als Mensa und als Ort zum Feiern genutzt werden kann.

Die Jahrgänge sind räumlich zu Clustern zusammengefasst. Auch hier gibt es Aufenthaltsbereiche und Orte jenseits der Lerngruppenräume, die zum kooperativen Arbeiten genutzt werden können. Wer weiß, wie viele Schulen durch den über Jahrzehnte aufgebauten Sanierungsstau aussehen, dem treibt es angesichts dieses lichtdurchfluteten Gebäudes die Tränen in die Augen. Auch hier gibt es zwar noch Baustellen, die noch einen Kompromiss zwischen architektonischen Entscheidungen und schulischen Bedürfnissen suchen, aber Raum als dritter Pädagoge entfaltet seine Wirkung auch mit Kompromissen unmittelbar.

Jenseits von Raum und architektonischer Finesse war der Austausch mit Jan Haurand zentral und bereichernd. Schulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, allen Kindern und Jugendlichen ein passendes Lernangebot zu machen stehen immer vor der Frage: Wie soll ein solches Angebot choreografiert werden? Wie schaffe ich eine Umgebung, die Lernen ermöglicht und fördert? Wie nehme ich die Unterschiedlichkeit der Lernenden wahr und ernst? Wie kann eine wertschätzende Lernkultur etabliert werden? Welche Rolle spielen dabei Haltungen und Werte der Lehrkräfte, die in Anerkennung von Unterschiedlichkeit ihre eigenen Überzeugungen überdenken und neu ausrichten müssen?

Ein Austausch über diese Fragen ist ungemein wertvoll, weil sich Lösungsansätze oft im Gespräch und im gemeinsamen Denken ergeben. In heterogenen Gruppen kommt man nicht umhin, die Verantwortung für das Lernen sukzessive an die Kinder und Jugendlichen abzugeben. Das kann über regelmäßiges und zielgerichtetes Coaching und Lernentwicklungsgespräche stattfinden. Die Lernsettings müssen so gestaltet sein, dass eigenständiges Lernen möglich ist. Die Verantwortung für das eigene kann dabei über Graduierungssysteme aufgebaut und gefördert werden. Wer zeigt, dass er eigenverantwortlich lernen kann, erhält größere Freiheiten.

Natürlich bedeutet ein eigenverantwortliches Lernen nicht, dass Lehrkräfte ihre Führung und Verantwortung aufgeben. Im Gegenteil. Gerade die Choreografie und das Management von heterogenen Gruppen erfordert eine klare Zielperspektive, eingeführte Regeln und ein ständiges Monitoring der Lernumgebung. Solche Settings sind hochanspruchsvoll und es ist wichtig, mit kleinen Schritten zu beginnen.

Danke Jan, für den wertvollen Austausch.

Kulturelle Bildung in Köln

Als Kunstlehrerin gehören regelmäßige Museumsbesuche und die Betrachtung von Kunst zu meinem professionellen Selbstverständnis. Zum Glück ist donnerstags immer „Köln-Tag“ und das Wallraf-Richartz-Museum ermöglich durch verlängerte Öffnungszeiten einen abendlichen Museumsbesuch. Es zeigt Kunst vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Spontan hat sich Martina Fuchs meinem Museumsbesuch angeschlossen. Wie schön, wenn man Eindrücke teilen kann und so plötzlich Dinge sieht, die einem ohne die zweite Perspektive gar nicht aufgefallen wären.

Ein BaseCamp in Frechen

Eine ganz andere Schule durfte ich am Freitag Morgen besuchen. Die Albert-Einstein-Schule in Frechen ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung. Aufmerksam geworden bin ich auf diese Schule durch Daniel Steh, der im vergangenen Jahr auf dem EduCamp Düsseldorf das Konzept des BaseCamp vorgestellt hat. Wer mich kennt und meine Arbeit schon länger verfolgt, weiß, dass mein Herz für Inklusion schlägt, und ich mich mit Förderschulen und sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren immer etwas schwertue. Ich bin der Überzeugung, dass Schule so sein sollte, dass sie allen Kindern und Jugendlichen passende Lernangebote unterbreiten kann, auch solchen, die besondere Bedürfnisse haben.

Dennoch gehe ich mit offenen Augen durch die Schulwelt und schaue genau hin, wie Schulen damit umgehen, wenn sie es sich zur Aufgabe machen, genau jene zu unterstützen, die es besonders schwer haben.

Das BaseCamp ist eine Art Oase im Schulalltag. Man kann hier spielen und ins Gespräch kommen, die Seele baumeln lassen und lernt eher beiläufig, jenseits von Fächern und Stundenplänen. Es ist ein guter Ort, ein ruhiger und kontemplativer Ort mit Sofa und Kaffeeküche. Er steht immer offen. Es ist ein Schonraum, wenn der Weg zum Gipfel Schulabschluss gerade zu steinig erscheint.

Einen Einblick in eine Schule zu erhalten, die sich um diejenigen kümmert, die bereits durch Raster gefallen sind, war für mich eine wichtige Erfahrung. Und gleichzeitig bestätigt sich auch hier: Struktur, Klarheit und Wertschätzung sind die Schlüssel zu gelingenden Lernbeziehungen. Räume für Rückzug und Orte der Ruhe wünschte ich mir für alle Schulen.

Danke Daniel, für deinen Empfang im BaseCamp. Ich gehe nun gestärkt und mit neuen Erkenntnissen in die nächste Schulphase.

P.S.: Vielleicht könnte meine Reise auch Anlass sein, sich jenseits von Stiftungsportalen und Preisträgernetzwerken niederschwellig zu vernetzen und bundeslandübergreifend voneinander zu lernen?

Der zielgerichtete professionelle Austausch von Lehrkräften ist erwiesenermaßen eine der wirksamsten Schul- und Unterrichtsentwicklungsmaßnahmen.

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1 Kommentar

  1. DerSteh Sonntag, 5. November 2023

    Sehr schöner Bericht und interessante Einblicke!
    Danke

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