Bildungsweise

Susanne Posselt

Mein Arbeitszeitexperiment

Ein vorzeitiges Ende.

Zu Beginn dieses Schuljahres wusste ich vieles noch nicht.

  • Ich wusste nicht, dass ich im Dezember eine neue Stelle in der Schulleitung antreten würde, die das Thema Arbeitszeit in ganz neuem Licht erscheinen lässt.
  • Ich wusste nicht, dass ich nur drei Monate später mit einer lebensverändernden Diagnose konfrontiert sein würde, die mich nun für einige Zeit aus dem Setting „Arbeit“ hinauskatapultieren wird.

Dennoch möchte ich Bilanz ziehen.

Meine Tätigkeiten, die man mit dem Attribut „Arbeit“ etikettieren könnte, waren kaum vielfältiger als in diesem Schuljahr. Manches lässt sich auch nicht einfach fassen. Ich finde aber, man muss sich bemühen, es zu fassen, weil man sonst in einen ganz unguten Strudel hineingerät, der die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben mit echten „Auszeiten“ zunehmend verschwimmen lässt.

Ich habe seit Beginn des Schuljahres deshalb ganz konsequent meine Arbeitszeit erfasst. Dafür habe ich die App „Working Hours“ verwendet.

Man kann sich mit dieser App verschiedene Statistiken ausgeben lassen. Für mein bisheriges Schuljahr sieht meine Jahresstatistik inzwischen so aus:

Wundert euch nicht, dass da auch Werte aus dem Juli und dem August auftauchen. Ich hatte im Schuljahr 2022/33 bereits vorgearbeitet. Eigentlich müsste ich hier noch die Stundenwerte von 2 weiteren Deputatsstunden abziehen, die mir für meine „Vorarbeit“ erst in diesem Schuljahr „erlassen“ werden.

Ich hatte das alles bereits zu Beginn des Schuljahres ausgerechnet und aufgeschrieben:

Wenn ich die 41 Wochenstunden auf die Wochentage umrechne, komme ich auf 8,2 Arbeitsstunden, das entspricht 8 Stunden und 12 Minuten pro Tag und entspricht einer Jahresarbeitszeit von 1804 Stunden.

Ich habe die Jahresarbeitszeit durch 27 geteilt (das entspricht meinem Deputat in der Sekundarstufe 1). 1 Deputatsstunde entspricht nach dieser Berechnung einer Jahresarbeitszeit von insgesamt 66,81 Stunden, die ich auf meine Arbeitstage verteilen muss.

Mein „Soll“ in diesem kompletten Schuljahr wären also 1804 Stunden minus 133,62. Das sind in der Summe 1670,38 Stunden, die ich nach den oben beschriebenen Regeln abzuleisten hätte. Nun kann ich mein Soll ja leider nicht fürs gesamte Schuljahr berechnen (Ich hatte den Zeitraum vom 1.9. bis zum 31.8. zugrundegelegt). Ich kann aber Monatswerte ausrechnen. Pro Monat hätte ich 139,2 Stunden arbeiten müssen. In den sieben Monaten von September bis März hätte ich nach dieser Berechnung 974,4 Stunden arbeiten müssen. Meine Bilanz zeigt jedoch sehr deutlich: Es gibt nur einen Monat, in dem ich mich annähernd an diese Zeit halten konnte: Den Dezember mit den Weihnachtsferien, in denen ich tatsächlich weniger gearbeitet hatte (weil es mir zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich schlecht ging).

In Zahlen sagt meine Bilanz, dass ich in diesen sieben Monaten 1210 Stunden und 9 Minuten gearbeitet habe. Obwohl ich meinen zweitägigen Krankenhausaufenthalt und diverse Arztbesuche hier nicht eingerechnet habe, sind das rund 235 Stunden zu viel.

Eine beeindruckende Zahl.

Ich arbeite sehr gerne. Es geht mir auch nicht darum, dass ich mich subjektiv in den letzten Monaten und Jahren überlastet gefühlt hätte. Das habe ich nicht. Aber ich finde schon, dass man hier sehr gut ein strukturelles Problem sieht. Wenn ich jetzt (wie es ja der Fall ist) ausfalle, dann fehlen effektiv nicht nur die Stunden in Form von Arbeitskraft, die ich hätte leisten müssen, sondern auch die Stunden, die ich zusätzlich geleistet habe, weil das System darauf zählt, dass es Menschen wie mich gibt, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen.

Das macht mich sehr nachdenklich.

P.S.: In den Osterferien habe ich mir Zeit genommen. Ich war 3 Tage mit meiner Tochter in Paris. Das Titelbild zeigt mich am Abend nach Einbruch der Dunkelheit am Fuße von Sacre Cœr über den Dächern der großen Stadt. Hier steht die Zeit. Menschen blicken auf die Geschäftigkeit und Ruhelosigkeit der Stadt, Verliebte sitzen auf den Stufen, Jogger rennen vorbei. Eine Momentaufnahme.

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2 Kommentare

  1. M. Schuetze Sonntag, 21. April 2024

    Hallo,
    ich habe vor einigen Jahren ein ähnliches Experiment durchgeführt und kam (obwohl ich keine SL-Aufgaben habe) zu einem ähnlichen Ergebnis: ich arbeite 75% und arbeitete im Schnitt 45-50Zeitstunden pro Woche.
    viele Grüße!

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