Rückblick – Ausblick – Weitblick?
2021 war ein wechselhaftes Jahr. Ein hybrides Jahr. Ein Jahr der Entscheidungen.
Es wurde gewählt – im Land und im Bund.
Neue Menschen treffen nun neue Entscheidungen.
Die Schulen waren zunächst geschlossen, dann offen mit Sicherheitsmaßnahmen.
Mit dem Distanzunterricht kannten wir uns inzwischen aus, die Videoplattformen liefen zunächst noch mit Aussetzern, am Ende aber stabil.
Dennoch waren wir froh, als wir im Frühjahr in die Schule zurückkehren konnten.
Wir drehten Videos zu den Schnelltests, die uns als Sicherheitsnetz dienen sollten.
Der Schulhof wurde in verschiedene Bereiche eingeteilt, die Schul- und Pausenzeiten von Primarstufe und Sekundarstufe versetzt.
Es wurde getestet, geimpft und gelernt.
Mit und ohne Abstand.
Mit und ohne Maske.
Mit abnehmenden Inzidenzen wagten wir es wieder, uns zu treffen.
Kontrolliert.
Mit Kontakterfassung.
Mit den Schüler:innen unternahmen wir Ausflüge, zunächst draußen, in der Kohorte und mit gebührendem Abstand zu anderen.
Unsere Personalratssitzungen fanden irgendwann wieder in Präsenz statt.
Es gab wieder Konzerte, die Museen und Theater öffneten.
Endlich.
Schließlich gingen wir auch mit den Schüler:innen wieder ins Museum, ins Konzert und wir sprachen über Schullandheime.
Wir hofften und wussten doch: Das war noch nicht das Ende.
Der Herbst brachte die nächste Welle, die nächste Virusvariante und die dritte Impfdosis. Derzeit verdrängt Omikron Delta und wir impfen gegen eine neue, noch größere Welle an. Inzwischen auch die Kinder.
Wie wird es weiter gehen?
Bringt 2022 Ruhe in das Wellenmeer?
Wird es irgendwann wieder eine Schule geben, wie wir sie kannten?
Mit jahrgangsübergreifenden, erweiterten Bildungsangeboten im Ganztag, Patenmodellen und gelebter Schulentwicklung im Quartier? Mit regelmäßigen Theaterbesuchen, Klassenfahrten und Schulfesten?
Für mich selbst brachte 2021 die Entscheidung weiterzumachen. Trotz allem.
Oder gerade deshalb. Seit Oktober studiere ich wieder. Der Masterstudiengang Unterrichts- und Schulentwicklung MUSE an der PH Freiburg ist berufsbegleitend angelegt und ich nutze neben meiner Personalratstätigkeit Wochenenden, Abende und Ferienzeiten, um mich wieder in theoretische Fragestellungen der Schul- und Unterrichtsentwicklung einzuarbeiten. Es geht um empirische Forschungsfragen, Erkenntnisse zu Bildungsungleichheit, Ganztagsschule, neuer Lernkultur und sprachsensiblem Fachunterricht.
Manchmal beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl der Beklemmung, wenn ich in den Büchern über Erkenntnisse zu außerschulischen Lernangeboten lese, die gerade wieder gestrichen wurden. Wenn es um kooperatives Lernen geht, das seit zwei Jahren kaum oder nur eingeschränkt stattfinden kann. Wenn all die wichtigen Forschungsergebnisse zum Abbau von Bildungsbarrieren daran scheitern, dass die Menschen fehlen, die sie umsetzen können. Wenn der verlässliche Ganztag wegen zu vieler erkrankter Lehrer:innen gekürzt werden muss. Wenn ausgeklügelte Unterrichtskonzepte daran scheitern, dass sich ständig Schüler:innen oder deren Familien in Quarantäne begeben müssen.
Heute Nachmittag habe ich bei meiner Runde mit unserer Golden-Retriever-Hündin Luna die letzte Folge des Podcasts „Die Schulstunde“ gehört. Tobias Peter vom Redaktionsnetzwerk Deutschland hat 2021 alle 14 Tage mit Experten oder Betroffenen über das Thema Schule gesprochen. Sein Podcast hat mich durch dieses Jahr begleitet. Ich habe nicht alle, aber viele Folgen gehört. In der Folge vom 27. Dezember 2021 war Tobias Peters Gesprächspartner der Pisa-Chef Andreas Schleicher. Die wichtigste Lehre aus der Corona-Krise sei, dass die Zukunft uns immer wieder überraschen werde. Wir müssen uns daher die Frage stellen, wie unsere Bildungssysteme widerstandsfähiger und innovativer werden können. Nachhaltige und praxisorientierte Veränderungsprozesse können nur direkt an der Basis in der Schule stattfinden und Schleicher spricht sich deshalb auch für eine veränderte Lehrerbildung aus. Angehende Lehrer:innen sollten vielleicht eher früher in die Schule gehen, wo sie ein gutes, kooperatives und lernförderliches Arbeitsumfeld vorfinden. Schule muss zum Ideenraum, zu einem Ort werden, wo alle lernen.
Ich bin mir angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht sicher, ob Schleichers Plädoyer für ein Offenhalten der Schulen im Angesicht von Omikron realistisch ist.
Sicher bin ich mir darin: Er hat recht, dass Schule sich verändern muss.
Wir machen also weiter.
Seit fast zwei Jahren üben wir uns in Geduld, Resilienz und Hoffnung.
Als Lehrer:innen und Forscher:innen sind wir Vorbilder, Vordenker:innen und Hoffnungsträger:innen. An wem, wenn nicht an uns, soll es liegen, Erkenntnisse aus den hybriden Schuljahren zu erforschen und sie in eine neue, hoffentlich bessere und gerechtere Zukunft von Schule und Unterricht zu überführen?