Schneebedeckte Berge in Tirol. Vor knapp drei Wochen war das mein Ausblick. Noch ahnte niemand, dass nur kurze Zeit später niemand mehr diese Pisten hinabfahren würde. Dass in unserem Nachbarland Österreich alle Hotels geschlossen, alle Lifte stillstehen und Ausgangssperren verhängt sein würden. Die Freiheitsrechte der Bevölkerung sind mittlerweile massiv eingeschränkt worden. Wegen eines Virus. COVID-19. Corona. Krone. Heiligenschein. Königswürde. Wer hätte gedacht, dass ein Wort, dessen Übersetzung solch prächtige und herrschaftliche Assoziationen weckt, jemals als so bedrohlich empfunden werden könnte?
Nun ist es also auch hierzulande so weit. Heute morgen war zum letzten Mal die Schule geöffnet. Wir leben in Baden-Württemberg, der Übergang sollte „geordnet“ erfolgen. Eigentlich war alles fast normal. Viele Schülerinnen und Schüler waren noch da, es war fast wie immer: laut, lustig, lebendig. Aber hie und da – es gab sehr viel zu erklären und zeitweise war es offensichtlich sehr anstrengend zuzuhören – war die Stimmung auch nachdenklich, leise, betroffen. Wir alle wissen noch nicht, was diese Zeit mit uns machen wird. Ob es uns schwerfallen wird, eine Weile auf die geliebtgehasste Schule zu verzichten. Ob und wie wir in Kontakt bleiben werden. Ob dieses hehre Ziel: „Wir erarbeiten uns die Lerninhalte selbstständig und alleine zu Hause“ erreichbar erscheint. Denn die Umstände sind alles andere als optimal.
Die digitale Infrastruktur, die unser Dienstherr uns zur Verfügung stellt, ist kaum geeignet, um Schule virtuell einfach fortzusetzen. Es könnte ja so wunderbar einfach sein: Die Schüler*innen sitzen nun zu Hause und die Lehrer*innen setzen ihren Unterricht mittels Videochat und Webinar fort. Auf virtuellen Lernplattformen, die natürlich den Maßgaben der DSGVO entsprechen. Schöne neue Welt.
Mithin, die einfach nutzbare und vielseitige cloudbasierte Lernplattform gibt es nicht. Die vom Land den Schulen zur Verfügung gestellte Lernplattform Moodle eignet sich kaum für Schüler*innen unterhalb der Oberstufe. Und selbst, wenn es das optimale Instrument auf Schulseite gäbe: Bei weitem nicht jeder Haushalt verfügt über eine entsprechende digitale Ausstattung. Zwar besitzen die meisten meiner Schüler*innen durchaus leistungsfähige Smartphones, einen sinnvoll nutzbaren PC gibt es jedoch in vielen Familien nicht, geschweige denn einen Drucker, auf dem virtuell zur Verfügung gestellte Arbeitsblätter ausgedruckt werden könnten. Da die Bibliotheken und andere öffentlich zugängliche Orte, wo man einen PC und einen Drucker nutzen könnte, nun geschlossen sind, bleibt vielen Schüler*innen diese Möglichkeit verschlossen. Ich finde ja, das Wort „Teilhabe“ bekommt in diesem Zusammenhang einen besonders bitteren Beigeschmack.
So bleibt uns Lehrer*innen lediglich, uns zu vernetzen, kreative Lösungen zu suchen und zu finden, Neues auszuprobieren und aber auch: Unsere Stimme zu erheben und darauf aufmerksam zu machen, dass unser Musterländle, welches sich seiner Innovationskraft so gerne rühmt, hier einige Entwicklungen verschlafen hat. Beides tun wir: Die Chatgruppen des Vereins für Gemeinschaftsschulen, wo viele andere leidenschaftliche, kreative und innovationsbereite Lehrer*innen, Lernbegleiter*innen und Pädagogen*innen mit Leib, Herz und Seele versammelt sind, laufen in diesen Tagen heiß. Es ist unglaublich, wie viele wunderbar hilfreiche Ideen diese Krise hervorbringt, wie viel Neues auch wir Erwachsenen in dieser „besonderen Zeit“ lernen.
Und wer weiß, wofür es gut ist? Liebe Schüler*innen, nutzt eure neu gewonnene „besondere“ Zeit! Lest ein Buch! Malt ein Bild! Geht spazieren! Genießt die erwachende Natur im Frühling! Schreibt einen Brief! Träumt vor euch hin! Spielt ein Spiel mit eurer Familie! Denkt groß und schreibt ein Buch! Ein Tagebuch! Denkt über euch nach und das, was wirklich wichtig ist. Ich glaube ja fest daran, dass in jeder Krise eine Chance liegt. Vielleicht klingt „Corona“ deshalb so schön. Weil es auch etwas Gutes haben könnte. Bleibt gesund und denkt aneinander!
Eure Frau Posselt