Bildungsweise

Susanne Posselt

Am Ziel?

Über Ziele und berufliche Weiterentwicklungen

2023 war ein Jahr mit vielen Veränderungen.

Ursprünglich dachte ich, die größte zu erwartende Veränderung und das Endziel meiner knapp zwei Jahre andauernden Bemühungen würde der Abschluss meiner Masterarbeit im Studiengang Unterrichts- und Schulentwicklung sein. Dass es eine gravierende berufliche Veränderung geben und ich bereits im Dezember an einem neuen Ort und mit neuer Funktion meinen Dienst antreten würde, war für mich selbst überraschend, auch, wenn ich das Ziel „Funktionsstelle“ gegen Ende meines Masterstudiums durchaus in den Blick genommen hatte. Nun bin ich also nicht nur ein „Master of Arts“, sondern auch stellvertretende Schulleitung der Nordstadtschule Pforzheim, einer großen Grund- und Gemeinschaftsschule in der – wie der Name schon sagt – Pforzheimer Nordstadt.

Diesem Umstand ist es geschuldet, dass der zusammenfassende Bericht zum Gegenstand meiner Masterarbeit erst jetzt – im Februar 2024 – hier erscheint:

Zielorientierungen  und Fortbildungsbereitschaft von Lehrerinnen und Lehrern

Im August 2023 habe ich mein berufsbegleitendes Masterstudium mit dem Schwerpunkt Unterrichts- und Schulentwicklung im Fachbereich empirische Bildungswissenschaft an der pädagogischen Hochschule Freiburg mit der Masterarbeit abgeschlossen. Am 17. November 2023 durfte ich schließlich meine Masterurkunde in Empfang nehmen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Prof. Dr. Oliver Dickhäuser den Hauptvortrag anlässlich der Zeugnisverleihung gehalten und dabei  Bezug auf meine Forschungsergebnisse genommen hat. 

In meiner Masterarbeit habe ich den Blick auf einen Bereich gerichtet, der überraschenderweise nicht so häufig Gegenstand der empirischen Bildungsforschung ist, obwohl er, wie ich meine, von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist: Es geht um die Bereitschaft von Lehrkräften, sich auch nach Abschluss der ersten beiden Ausbildungsphasen, kontinuierlich fortzubilden und weiterzuentwickeln. Denn was ist Schule ohne die zentralen Akteure, die jeden Tag Lernangebote für Kinder und Jugendliche gestalten und als mehr oder weniger motivierte Lehrkräfte mit Werten, Haltungen und Einstellungen einen erheblichen Einfluss auf junge Menschen haben können? Wir alle erinnern uns schließlich an markante Lehrer:innenpersönlichkeiten aus unserer eigenen Schulzeit.

Ich habe mich also mit zwei zentralen Fragen beschäftigt: 

1. Was motiviert Lehrkräfte? und 2. Warum bilden Lehrkräfte sich fort?

Theoretische Vorüberlegungen

Der landläufig gebrauchte Begriff der Motivation wird zwar häufig benutzt, ist aber, wenn man sich einmal näher damit beschäftigt, gar nicht so einfach zu fassen. Die Motivationspsychologie bedient sich einer zentralen Analyseperspektive, die davon ausgeht, dass Motivation sich über einen angestrebten Zielzustand konstruiert (Zug). Als Antwort auf die Frage, warum ein bestimmtes Ziel für eine Person besonders erstrebenswert ist, nutzt man das Gedankenkonstrukt des Motivs (Etwa Macht, soziale Kontakte,…) 

Motive und Ziele, die zeitlich stabil und über einen längeren Zeitraum hinweg als Persönlichkeitsmerkmal konsistent auftreten, bezeichnet man dabei als Trait. Wenn sie in einer bestimmten Situation angeregt werden und variieren, spricht man von State.

Carol Dweck legte die Grundlage für eine in der aktuellen Motivationsforschung diskutierte Perspektive: Die Zielorienterung im Lern- und Leistungskontext. Hierbei unterschied sie in ihren Arbeiten zur „Goal Orientation“ zwei wesentliche Zielorientierungen: Lernziele (learning goals) und Leistungsziele (performance goals). Weitere Perspektiven kamen in den folgenden Jahren hinzu: Annäherungsleistungsziele (approach achievement goals) und Vermeidungsleistungsziele (avoidance achievement goals), sowie die Tendenz zur Arbeitsvermeidung.

Lernzielorientierung

Bei der Lernzielorientierung steht das Motiv im Vordergrund, eigene Fähigkeiten zu erweitern. Personen mit einer hohen Lernzielorientierung erbringen oft gute Leistungen und erleben kurz- und langfristig positive lern- und leistungsbezogene Emotionen und Kognitionen (Spinath, 2021d).

Leistungszielorientierung

Bei der Leistungszielorientierung geht es vor allem darum, eigene hohe Fähigkeiten zu demonstrieren und niedrige Fähigkeiten zu verbergen. Man unterscheidet hierbei zur besseren Differenzierung inzwischen explizit die Annäherungsleistungszielorientierung und die Vermeidungsleistungszielorientierung (ebd.).

Annäherungsleistungszielorientierung

Personen, die an Annährungsleistungszielen orientiert sind, üben zielgerichtete Tätigkeiten vorwiegend deshalb aus, um ihre hohen Fähigkeiten demonstrieren zu können (Spinath, 2021a).

Vermeidungsleistungszielorientierung

Personen, die Vermeidungsleistungsziele verfolgen, streben beim zielgerichteten Ausüben einer Tätigkeit vor allem danach, niedrige Fähigkeiten zu verbergen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Fähigkeiten tatsächlich oder bloß vermeintlich gering sind (Spinath, 2021c).

Arbeitsvermeidung

Personen mit einer Tendenz zur Arbeitsvermeidung geht es jenseits von Zielen im Lern- und Leistungskontext darum, möglichst wenig Arbeit beim Ausüben einer Tätigkeit aufzuwenden. Das Konzept der Arbeitsvermeidung grenzt sich ab vom Konzept der Anstrengungsvermeidung nach Rollett, wonach Anstrengungen durch aktive Strategien vermieden werden, um negativen Konsequenzen zu entgehen (Spinath, 2021b).

Selbstbestimmungstheorie

Die theoretischen Vorüberlegungen habe ich um weitere Forschungsergebnisse zur Motivation und zur Lehrkräftefortbildung (u.a. von Deci & Ryan, Lipowsky & Rzejak) ergänzt, um ein möglichst umfassendes Bild der derzeitigen Forschungslage abbilden zu können. 

Auch die Selbstbestimmungstheorie (Self-determination theory, SDT), ein theoretisches Konzept von Edward L. Deci und Richard M. Ryan, eignet sich zur Beschreibung menschlicher Motivation. Sie hat ihren Ursprung in der Kognitiven Bewertungstheorie und beruht auf der Grundannahme, dass der menschliche Organismus eine natürliche Tendenz zum psychologischen Wachstum hat, hierfür jedoch eine kontinuierliche Unterstützung durch die soziale Umwelt benötigt. (Baumann, 2009; Deci & Ryan, 2000)

Deci und Ryan formulieren drei grundlegende angeborene psychologische Bedürfnisse, die befriedigt sein müssen, damit Menschen psychologisch wachsen und intrinsische Motivation entfalten können:

Sie umfassen das Streben nach

1. Sozialer Eingebundenheit (soziale Zugehörigkeit; Relatedness)
2. Kompetenz (Wirksamkeit; Competence)
3. Autonomie (Selbstbestimmung; Autonomy).

Aktuelle Arbeiten zur professionellen Kompetenz betonen, dass Professionalität nicht nur aus kognitiven Aspekten besteht, sondern auch motivations-affektive Merkmale wie Selbstwirksamkeit, intrinsische Orientierungen und berufliche Selbstregulationsfähigkeiten einschließt. In wiefern diese Erkenntnisse bis in die Lehrkräfteaus- und -fortbildung hineinwirken, bleibt fraglich. Betrachtet man die dritte Phase der Lehrkräftebildung, so muss man konstatieren: Die Fortbildungslandschaft für Lehrkräfte ist divers und steckt im internationalen Vergleich in den Kinderschuhen. Das mag an der föderalen Bildungsstruktur liegen: Es fehlen Daten und einheitliche Konzepte zur sogenannten dritten Phase der Lehrkräftebildung in Deutschland. Dabei ist durchaus bekannt, was wirkt. Vor allem Lipowsky und Rzejak haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Forschungsarbeiten vorgelegt, die zeigen, wann Fortbildungen wirksam sind. 

Forschungsfrage

Aus diesen und weiteren theoretischen Vorüberlegungen habe ich meine zentrale Forschungsfrage abgeleitet: Wie hängt die berufliche Zielorientierung von Lehrkräften mit ihrer Bereitschaft zur Teilnahme an Fortbildungen zusammen?

Grundlage meiner Befragung bildete ein Forschungsinstrument einer Forschungsgruppe um Oliver Dickhäuser und Markus Dresel zur Beschreibung und Analyse der oben beschriebenen beruflichen Zielorientierungen von Lehrkräften.

Über die zentrale Fragestellung hinaus habe ich außerdem über entsprechende Fragestellungen Zusammenhänge zwischen der beruflichen Zufriedenheit sowie dem Belastungserleben der befragten Lehrkräfte und ihren Zielorientierungen untersucht.

In Rahmen meiner Studie haben 284 Personen die (relativ umfangreiche) Befragung vollständig abgeschlossen. Auffällig war, dass mit 30% relativ viele Gymnasiallehrkräfte teilgenommen haben.

Ergebnisse

Ich habe 4 Hypothesen formuliert, aus denen ich am Ende meine Ergebnisse abgeleitet habe: 

  • Die Lehrkräfte der Stichprobe bilden sich fort – und zwar in den unterschiedlichsten Formaten. Sie sind im Mittel eher lernzielorientiert als die Pilotierungsstichprobe von Nitsche et al., (2011).
  • Personen mit einer hohen Lernzielorientierung bilden sich häufiger und länger fort als Personen mit einer niedrigen Lernzielorienterung.
  • Personen mit hoher Vermeidungsleistungszielorientierung bilden sich seltener fort als Personen mit niedriger Vermeidungsleistungszielorientierung 
  • Insbesondere die Lernzielorientierung und die Annäherungsleistungszielorientierung sind positive Prädiktoren für die Teilnahme an Fortbildungen.
  • Personen mit einer hohen Annäherungsleistungszielorientierung neigen möglicherweise eher dazu, längere Lehrgänge, etwa zur Funktionsstellenqualifikation zu besuchen.
  • Eine hohe Vermeidungsleistungszielorientierung und eine Tendenz zur Arbeitsvermeidung  wirken sich offenbar eher ungünstig auf den Aufbau berufsbezogener Kompetenzen aus. Diese Personen bilden sich signifikant weniger fort.
  • Personen mit einer hohen Arbeitsvermeidung zeigen einen u-förmigen Zusammenhang 
  • Es lassen sich signifikant positive Zusammenhänge zwischen einer hohen Lernzielorientierung und der Teilnahme an Barcamps (egal in welcher Organisationsform) beobachten. Barcamps zeichnen sich durch eine partizipative Organisationsstruktur auf Augenhöhe aus und entsprechen damit den Grundannahmen der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan, wonach Voraussetzung für die Entfaltung intrinsischer Motivation das Erleben von Autonomie und Selbstbestimmung ist. 
  • Betrachtet man die Zusammenhänge zwischen den Zielorientierungen und der beruflichen Zufriedenheit der Befragten, so lässt sich sagen, dass Personen mit einer hohen Lernzielorientierung in signifikantem Maß zufriedener mit ihrer Tätigkeit sowie mit ihrer Organisation und Leitung sind. 
  • Personen mit einer hohen Annäherungsleistungszielorientierung zeigen hingegen negative Zusammenhänge in Bezug auf ihre Zufriedenheit mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten und ihrer Bezahlung.
  • Dieser negative Zusammenhang zeigt sich auch bei Personen mit einer hohen Vermeidungsleistungszielorientierung und bei Personen, die zur Arbeitsvermeidung neigen.
  • Diejenigen Befragten, die zur Arbeitsvermeidung neigen, sind darüber hinaus auch eher insgesamt unzufrieden mit ihrer Tätigkeit und mit ihren Arbeitsbedingungen.
  • Signifikante Zusammenhänge hinsichtlich des beruflichen Belastungsempfindens zeigen sich ausschließlich bei Personen mit einer hohen Vermeidungsleistungszielorientierung und bei Personen, die zur Arbeitsvermeidung neigen.
  • Sie geben häufiger an, dass ihr Beruf ihre Gesundheit belaste, dass sie mit der zeitlichen Belastung des Lehrerberufs nicht fertig werden, sich der berufliche Stress wirkt sich negativ auf ihr Privatleben auswirke und sie sich wegen ihrer beruflichen Belastung oft müde und abgespannt fühlen.
  • Lernzielorientierte Personen geben dagegen eher an, dass sich die schulische Belastung ihre Freizeitaktivitäten fühlbar einschränke. Betrachtet man diese Angabe vor dem Hintergrund der insgesamt hohen beruflichen Zufriedenheit dieser Personengruppe, mag diese Einschränkung möglicherweise gar nicht so sehr als Belastung empfunden werden.

Die Ergebnisse meiner Fragebogenstudie decken sich in vieler Hinsicht mit Ergebnissen der Forschergruppe um Dickhäuser und Dresel. Sie bekräftigen damit die Annahme, dass die Zielorientierungen von Lehrkräften eine wichtige Bedeutung für deren berufliches Engagement haben und darüber hinaus – eine These, die in der Folge noch genauer zu untersuchen wäre – den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler haben könnten. Es müsste also für die jeweiligen Dienstherren von Interesse sein, insbesondere Menschen mit einer hohen Lernzielorientierung für den Lehrerberuf zu begeistern und sie, wenn sie diesen wunderbaren Beruf ergriffen haben, mit passenden Fortbildungsangeboten und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu unterstützen. Gleichzeitig erscheint es geboten, sich auch Strategien für den Umgang mit Lehrkräften zu überlegen, deren Zielorientierungen eher im Bereich der Vermeidung liegen. Denn auch diese Personen brauchen wir in unseren Schulen.

Ein Fazit meiner Arbeit lautet daher: Wir sollten dringend eine wertschätzende und ressourcenorientierte lebenslange professionelle Weiterentwicklung aller Lehrkräfte im Sinne eines Growth Mindset in den Blick nehmen.

Wer die Arbeit im vollen Umfang lesen möchte, kann dies hier tun: Zielorientierungen und Fortbildungsbereitschaft von Lehrerinnen und Lehrern

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