Bildungsweise

Susanne Posselt

Mit Leichtigkeit

Getragen

Heute vor einer Woche saß ich zur selben Zeit im selben Gebäude wie heute. In einem anderen Zimmer mit einer anderen Nachbarin. Mit Blase. Ich wusste, das, was mir bevorstand, wird kein Spaziergang. Wie es mir am Tag vor dem großen Eingriff ging, habe ich im Beitrag „Hoch hinauf“ aufgeschrieben. 

Nun sitze ich hier in meinem Klinikbett. Ohne Blase. Und sehr dankbar. Welch ein Privileg, in einem Land zu leben, das mir mit hochmoderner Technik nicht nur das Überleben einer tückischen Krebsart, sondern auch noch eine gute Lebensqualität nach dem Verlust eines lebensnotwendigen Organs ermöglicht. Die Blase ist ein hochkomplexes Gebilde, welches man im allgemeinen nur bemerkt, wenn sie Schmerzen verursacht oder gerade kein WC in der Nähe ist. Hin und wieder entzündet sie sich, meistens leben wir mit größter Selbstverständlichkeit mit ihr im friedlicher Koexistenz.

Mit meiner Blase ist es etwas anders. Ich könnte euch jetzt die Geschichte von Umi erzählen, der mich seit meiner Geburt begleitet. Ihr kennt ihn vielleicht schon aus dem Beitrag übers Schreiben. Weil ich mit Umi lesen und schreiben gelernt habe, während er Anfang der 80er Jahre neben meinem Krankenhausbett saß. Umi hat mich immer beschützt. Auch jetzt ist er hier. Nachdem mit einer letzten Operation 1988 mein Blasenproblem behoben war, blieb Umi. Von unserer gemeinsamen Geschichte erzählte nur noch eine Narbe auf meinem Unterbauch. Ich vermied seither Krankenhäuser, brachte meine Jungs ambulant und die Mädchen zu Hause zur Welt. Ich war 26 Jahre lang mit Gesundheit gesegnet und bemerkte meine Blase nur hin und wieder. 

Bis der Krebs kam.

Ihr wisst, dass ich dem Krebs entschlossen entgegengetreten und allen Empfehlungen gefolgt bin.
Kritisch, aber zuversichtlich.

Warum diese Vorrede? 

Ich möchte, dass ihr versteht, dass es diese Vorgeschichte mit meiner Blase gibt. Dass die dicke Mappe mit Krankenhausberichten, die ich seit meinem Auszug von zu Hause im Schrank stehen habe, für diese anstehende Operation Bedeutsamkeit hatte. 

Zum Glück hatte ich diese Berichte alle noch. 

Ich bin froh uns dankbar, euch heute davon berichten zu können, dass die Operation gut verlaufen ist. Die erfahrene Oberärztin, die mich operiert hat, hat den Krebs komplett aus mir herausgeschnitten. Es sei schon eine Bastelei gewesen, sagte sie, aber sie habe es hinbekommen. Sie hat ihn herausgeschnitten und mir in einer Operation, deren genaue Dauer ich bis heute nicht kenne, eine neue Blase, eine Ersatzblase gebaut. Dafür hat sie Teile des Dünn- und des Dickdarms und meinen Blinddarm verwendet. Unfassbar, was man alles machen kann. Diese neue Blase lernt gerade, dass sie eine Blase ist (Sie denkt nämlich noch, sie sei ein Darm) und ich lerne, mit ihr zu leben. 

Nachdem ich von einem unfassbar einfühlsamen und witzigen Anästhesisten am Montagmorgen gegen kurz nach 7 Uhr behutsam in den Schlaf geschickt worden war, setzt meine Erinnerung erst am Dienstag wieder ein. 

Ich wurde zunächst auf der Intensivstation umhegt und umsorgt, da ich bei der OP viel Blut verloren hatte und stark unterkühlt war. An den Dienstag und den Mittwoch habe ich bruchstückhafte Erinnerungen. Sie überwachten mich, pumpten mich mit Schmerzmitteln voll und stellten mich an Tag zwei nach der OP schon wieder auf meine Beine. Als ich dann stehenblieb, verlegten sich mich auf die Intermediate Care, die Wachstation. Hier wurde ich weiterhin intensiv beobachtet, meine Vitalzeichen wurden ständig gemessen, ich bekam noch einmal eine Blutkonserve und in meinem Nasenloch steckte ein Schlauch, der in meinen Magen ragte. Ich konnte sprechen, aber es war mühsam. Ich hatte keine Schmerzen. Und es ging aufwärts. Am Freitagmorgen sagte man mir, dass auf dem Bettenplan neben meinem Namen ein Pfeil nach oben stehe. Das bedeutete: Zurück auf die Normalstation.

Heute bin ich zum ersten Mal wieder mehr als 1000 Schritte mit meinen eigenen Beinen gelaufen. Von den anfangs zwölf Schläuchen, die in meinem Körper steckten, sind mir noch fünf geblieben: eine Wunddrainage,  meine Ersatzblase, die derzeit aus zwei Schläuchen besteht, die den Urin direkt aus den beiden Nierenbecken in zwei Beutel leiten, und zwei Beutel, die mit meiner neuen Ersatzblase verbunden sind. All diese Schläuche werde ich innerhalb der nächsten drei Wochen verlieren. Dann sieht man nichts mehr. Nur noch eine s-förmige Narbe, die sich um meinen Bauchnabel herumschlängelt. Sie wird gut verheilen. Narben verheilen bei mir immer gut. 

Das Bild zu dem Beitrag zeigt ein Windrad vor dem Blick aus meinem Krankenhausfenster. Meine Chorschwester hat es mir gestern gebracht, gemeinsam mit zahlreichen Genesungswünschen meiner Chorgemeinschaft. Damit ich die tiefe Bauchatmung üben kann und ganz bald wieder genug Luft zum Singen haben werde.

Ich dachte, die Zeit, die mir bevorstehen wird, wird schwer. Aber das war sie bisher überhaupt nicht. Sie war leicht. Weil ich getragen wurde von Gebeten und Wünschen, von vielen Menschen, die mich auf diesem Weg begleiten. Danke.

Es wird noch ein wenig Flugwind brauchen, damit ich weiter fliegen kann. Manchmal werden meine Flügel schwer sein. Aber ich weiß jetzt: Ich schaffe das.

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3 Kommentare

  1. Valérie Guéraiche Freitag, 26. Juli 2024

    Liebe Susanne, durch eine Kollegin habe ich von deinem Kranksein erfahren. Ich habe dich noch so munter bei deinem Sonntagsspaziergang erlebt und ich könnte mir nicht vorstellen, dass es wahr war. Dein Text hat mir Mut gegeben dir zu schreiben. Wir kennen uns nicht sehr aber ich liebe deine Lebensfreude. Mit dir glaube ich, dass du den Krebs besiegen wirst. Du hast eine tolle Familie, die dich liebt und die tolle Ärztin, die ein Wunderwerk gebastelt hat. Ich bin dir auch verbunden und werde jetzt für dich beten. Valérie

    • susanneposselt Freitag, 26. Juli 2024 — Autor der Seiten

      Liebe Valérie, danke für deine guten Wünsche und Gebete. Das Schlimmste habe ich hoffentlich überstanden. Bald werden wir uns sicher wieder auf meinen Spaziergängen begegnen, leider dann nur noch mit einem Hund. Amy ist vor 2 Wochen verstorben. Ich pflege meine Lebensfreude und gebe meine Zuversicht nicht auf, auch, wenn es gerade manchmal schwer ist.

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