In den letzten Wochen war ich oft weit oben. Auf ganz realen wunderschönen hohen Bergen, aber auch im übertragenen Sinne. Ich habe viel geschafft, viele Hürden überwunden, viele scheinbar unbezwingbare Aufgabenberge erklommen.
Fast vier Monate sind vergangen, seit ich am 23. März 2024 meinen Blogbeitrag über die „Stufen“ geschrieben hatte. Am 11. März war eine Gewebeprobe aus meiner Blase entnommen worden, am 20. März hatte ich Gewissheit, dass der Tumor, der dort wächst, bösartig ist. In den letzten Wochen habe ich mich mit der Situation angefreundet. Die Blase muss raus. Es führt kein Weg daran vorbei. Ich bin offen damit umgegangen. Es ist, wie es ist. Gut, dass wir in einem Land mit sehr guten medizinischen Möglichkeiten leben. Man kann etwas tun. Ein bösartiger Tumor in der Blase ist heute kein Todesurteil mehr. Das war einmal anders. Ich bin nun durch zwei Zyklen Chemotherapie gegangen, um den Tumor zu verkleinern und möglicherweise schon vorhandene Mikrometastasen abzutöten. Glücklicherweise ist das gelungen. Der Tumor ist um die Hälfte geschrumpft. Leider waren jedoch meine Nieren vom verabreichten Giftcocktail nicht besonders begeistert. Deshalb wurde die Chemotherapie nach dem zweiten Zyklus beendet und der Termin für die Operation auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegt.
Morgen ist es nun soweit.
Ich bin inzwischen in der Klinik und die Vorbereitungen für die Operation sind in vollem Gange. Ich bin ruhig und zuversichtlich. Man wird mir vor der eigentlichen Narkose eine PDA legen, damit ich nach der OP keine Schmerzen erleiden muss. Sie werden meine Blase entfernen und einen Ersatz in meinem Körperinneren formen. Das Teil, was am Ende dabei herauskommen soll, nennt sich Mainz Pouch I. Hier in der Klinik sei das eine Routine-Operation, sagte die Ärztin, die mich heute aufgenommen hat. Ich habe mich gut informiert und wurde umfassend beraten.
Ich danke allen, die mich auf dem Weg bis hierher begleitet haben. Euer Zuspruch, eure mutmachenden Worte und eure stille Zuneigung lassen mir den Weg leichter erscheinen.
Eine liebe Kollegin der Anne-Frank-Schule hatte mir zum Abschied von der Schule ein Gedicht von Hermann Hesse in schönster Schönschrift aufgeschrieben und mit auf den Weg gegeben, ohne zu wissen, wie sehr es passen wird. Ich liebe dieses Gedicht:
Stufen
Hermann Hesse
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Das Gedicht trifft meinen Gemütszustand sehr gut. Ich durchschreite die Räume heiter, seien es Klinikkeller oder die Schweizer Alpen, Arztpraxen oder Schulklassen, medizinische Versorgungszentren, Gewerkschaftsveranstaltungen oder Personalratssitzungen.
Ich bin dankbar für dieses Leben und möchte es weiter leben. Veränderungen nehme ich als Aufgaben, an denen ich wachsen kann, an. Nicht immer ist das leicht. Nicht immer bin ich dabei so heiter, wie es der Dichter fordert. Und doch hilft mir meine Lebensfreude und die Demut gegenüber dem Lauf der Lebensdinge, guter Hoffnung zu bleiben.
Ich weiß nicht, ob es das Klinik-W-LAN zulässt, dass ich diesen Beitrag mit ein paar Bergpanoramen illustriere, die ich in den letzten Wochen erleben durfte. Falls nicht: Stellt sie euch vor! Ich füge sie hinzu, sobald ich diesen Ort mit eigenen Beinen wieder verlassen kann und das heimische W-LAN mir keine Beschränkungen mehr auferlegt.
Morgen um 9 Uhr dürft ihr an mich denken. Gute Wünsche werden jederzeit entgegengenommen.
Kerstin Sonntag, 14. Juli 2024
Liebe wunderbare Susanne, für morgen viel Kraft!
Birgit Z. Montag, 15. Juli 2024
Denke an dich…
Herr Rau Montag, 15. Juli 2024
Das klingt alles sehr klug. Und von hier aus, sehr aufregend. Bewundernswert. Alles Gute für morgen!
Herr Rau Dienstag, 16. Juli 2024
Das klingt sehr klug, was du machst. (Und für außen, aufregend, und vorbildlich.) Alles Gute für heute!
Andrea (lehrerperle) Samstag, 20. Juli 2024
Versorge hier einen dementen Vater mit Blasenkrebs. Zum Glück saß der Tumor nur oberflächlich, aber die OPs verschlimmerten die Demenz.
Ich wünsche Dir von Herzen eine gute Genesung, für noch viele Räume, Stufen, Wege.
susanneposselt Samstag, 20. Juli 2024 — Autor der Seiten
Danke, liebe Andrea! Ja, der Blasenkrebs ist eigentlich der Krebs der älteren Männer. Ich hoffe, du schaffst das gut. Ich bin ja für die Urologie noch jung und habe gute Ressourcen. Immer nach vorne schauen und ich freue mich schon wieder auf schöne Aussichten.
Liebe Grüße
Susanne