Bildungsweise

Susanne Posselt

Stufen

Das Bild zu diesem Beitrag zeigt einen Weg, der zu meinen Lieblingsspazierwegen rund um meinen Wohnort zählt. Er führt über viele Stufen hinauf auf einen der Hügel, die diesen Wohnort säumen. Am Hang des Hügels findet man oberhalb einer Wiese mit herrlichem Talblick eine Bank mit einem Tisch, wo sich Spaziergänger niederlassen und die Aussicht genießen können. Auf dem Tisch liegen wechselnde Kurzgeschichten, die zum Lesen und Nachdenken einladen. Ich nenne diese Bank „Geschichtenbank“. Jetzt im Frühjahr blühen auf den Streuobstwiesen in meinem Wohnort die Obstbäume. Momentan entfalten die Kirsch- und Pflaumenblüten ihre Pracht. Es ist wunderschön.

Ich schreibe schon länger an diesem Beitrag. Er hatte schon viele Titel. Zuletzt hatte ich ihn mit dem Arbeitstitel „Ich bin nicht Princess Kate“ überschrieben. Seit gestern erscheint mir dieser Titel nicht mehr passend, obwohl er auf eine bestürzende Art passt. Ich bin nicht Prinzessin Kate und auch nicht King Charles. Und dennoch verbindet mich mit beiden momentan eine Art unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft.

Dass ich „etwas“ habe, ahne ich seit den Weihnachtsferien. Ein sehr unpassender Zeitpunkt. Ich war gerade in der Doppelkopfphase zwischen zwei Schulen. Abschied von der einen, Ankunft in der anderen. Ein Rollenwechsel. Neue Kolleginnen und Kollegen. Ich wollte ankommen, Vertrauen aufbauen.

Zunächst hat es sich um den Jahreswechsel herum durch Schmerzen im Unterleib bemerkbar gemacht.

Ich kenne Schmerz. Als Frau sowieso. Die Natur bürdet vielen von uns regelmäßige Schmerzempfindungen auf.

Mir wurde jedoch schnell klar, dass ich diesen Schmerz nicht einfach wegatmen kann.

Inzwischen weiß ich:

Es wächst ein Ding in mir. Es gehört dort nicht hin.

Zum Glück haben wir ein hervorragendes Gesundheitssystem mit erstaunlichen technischen Möglichkeiten.

Man hat mich eingehend untersucht. Proben von verschiedenen Körperflüssigkeiten genommen. Mich mit unterschiedlichsten Methoden durchleuchtet. Ich konnte teilweise live zuschauen. Manche Bilder aus meinem Innersten liegen jetzt in der Cloud. Manche habe ich als Daten-CD erhalten. Ich bin eine Nummer. Mein Zustand wurde codiert.

Leider hat das Durchleuchten alleine keine abschließenden Erkenntnisse gebracht. Es hat zwar die genaue Position und die ungefähren Abmessungen des Dings gezeigt, aber am Ende musste man in mich hineinschauen. Sie wollten das Ding aus nächster Nähe betrachten.

Das ist am 11. März 2024 geschehen.

Sie haben mich einbestellt. Vorher wurde ich über die Möglichkeiten der Narkose aufgeklärt. Ich bekam ein Armband mit meinem Namen und meinem Geburtsdatum und einem Strichcode.

Ich wurde vor der Operation ungefähr 20 Mal gefragt, wie ich heiße und wann ich geboren wurde. „Oh, Sie haben ja dieses Jahr einen runden Geburtstag!“ Stimmt. Die Menschen in der Klinik war sehr nett und zugewandt. Sie waren auch routiniert und haben Sicherheit ausgestrahlt. Das hat mich beruhigt.

Man wollte eine Gewebeprobe nehmen, um zu bestimmen, was genau, dieses Ding für Eigenschaften hat und wie sehr sich das Gewebe vom umliegenden Gewebe unterscheidet. Und wie schnell es wächst. Das nennt man Histologie. All das dauert.

Seit einer Woche ist es nun Gewissheit.

Das Ding ist ein Tumor.

Ich habe lange überlegt, wie ich mit dieser Botschaft umgehen soll, da mir ja bewusst ist, dass ich als bildungspolitische Person mit meinem Tun in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Ich habe mich am Ende dazu entschieden, euch – der Öffentlichkeit – mit einer gewissen Schonungslosigkeit zu offenbaren, was es ist. Ich habe nämlich keine Lust, mich mit meiner nur in Grenzen vorhandenen Fähigkeit, Bilder mit Bildbearbeitungsprogrammen zu manipulieren, zu verwirren. Wer weiß, vielleicht steht deshalb irgendwann auch noch die Presse vor der Tür.

Man weiß ja nie so genau, was einen zu dem Menschen macht, der man ist. Alle die mir hier folgen, ahnen vielleicht, dass ich jemand bin, der das Herz auf der Zunge trägt. Ehrlichkeit und Offenheit sind wichtige Werte für mich.

Gleichzeitig bin ich ein zuversichtlicher Mensch. Ich nehme die Aufgaben des Lebens an und bin fest davon überzeugt, dass es immer einen guten Weg gibt. Diese Haltung auch in meiner Rolle als Lehrerin, Kollegin und Teil des Schulleitungsteams authentisch vorzuleben, ist mir wichtig. In meinem Leben bin ich schon viele Wege gegangen: Breite und schmale, flache und steile. Am liebsten gehe ich Wege, die nach oben führen. Die dafür notwendige Anstrengung nehme ich gerne in Kauf. Sie belohnt mich oft mit wunderschönen Aussichten. Dieser Weg ist nun sehr steil. Die Stufen scheinen nicht zu enden und sie zu erklimmen, strengt mich an.

Zum Glück weiß ich: Der Aussichtspunkt, der auf mich wartet, verspricht eine schöne Aussicht. Vielleicht nicht die allerschönste, aber ich bin dankbar für die Schönheit der kleinen Dinge.

Ich nehme diesen Weg auf mich in der Gewissheit, dass die moderne Medizin in unserem reichen Land es mir ermöglichen wird, noch viele Wege zu gehen und viele Aussichten zu genießen. Gleichzeitig trägt mich die Gewissheit, dass es einen tieferen Sinn und eine Hoffnung auf Erlösung gibt, die uns die Lasten tragen lässt, die uns auferlegt werden.

Ich danke allen, die mich auf diesem Weg begleiten. Es tut gut zu wissen, dass ich ihn nicht alleine gehen muss.

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8 Kommentare

  1. Claudia Scharfenberger Sonntag, 24. März 2024

    Liebe Susanne,
    wir kennen uns nicht persönlich. Deine zuversichtlich-optimistische Haltung im #twlz und auf Insta und nicht zuletzt unser gemeinsamer Beruf haben mich dir verbunden gemacht. Ich wünsche dir alles alles Liebe und Gute für deinen Stufenweg. Sei behütet und nie allein
    Herzlich
    Claudia

    • susanneposselt Sonntag, 24. März 2024 — Autor der Seiten

      Danke, liebe Claudia. Es ist ja oft so, dass wir dazu tendieren, nur das angenehm Positive im Leben darzustellen. Dabei ist es die eigentlich schwierigste Aufgabe, die unser Beruf mit sich bringt: Kinder zu ermutigen, nicht aufzugeben. Die Bewältigung von Krisen, das zuversichtliche Weitermachen, Optimismus und Mut sind die Eigenschaften, die uns unser Leben gestalten lassen und uns nicht einfach in der Mutlosigkeit treiben lassen. Ich kann dir versichern, dass ich auch in dieser Lebensphase weiterhin Zuversicht leben und vorleben werde. Danke für deinen Zuspruch. Es tut gut zu wissen, dass ich nicht allein bin.

  2. Jörg Götz-Hege Sonntag, 24. März 2024

    Liebe Susanne, ich las gerade deinen Beitrag zu deinem Himmelsleiterfoto und nun muss ich dir schreiben. Ich kenne das Achterbahnfahren – so sage ich zu dem Auf und Ab – und drücke dir fest die Daumen, dass der Tumor gut zu bekämpfen ist. Gerne kannst du mich anrufen, wenn es dir nach Erfahrungsaustausch ist … Lass dich nicht entmutigen. Liebe Grüße Jörg

  3. Charlotte Sonntag, 24. März 2024

    Liebe Susanne, ich wünsche dir viel Kraft, um wieder schnell gesund zu werden. LG Charlotte

  4. Erik Grundmann Mittwoch, 27. März 2024

    Liebe Susanne,
    ich wünsche Dir alles Gute und eine rasche Genesung. Kraft, Mut und Willen hast Du, so wie ich Dich aus der Ferne einschätze, also die besten Voraussetzungen!
    Liebe Grüße
    Erik

  5. Patricia Donnerstag, 28. März 2024

    Liebe Susanne,

    alle guten Wünsche fürs Gesundwerden, viel Kraft und an manchen Stellen vermutlich auch die erforderliche Geduld! Ich denk an dich.

    LG
    Patricia

  6. Iris Laube-Stoll Mittwoch, 10. April 2024

    Liebe Susanne,

    danke, dass du das mit uns teilst. Ich wünsche dir viel Kraft, Geduld, Mut und Zuversicht.

    Ganz herzliche Grüße

    Iris

  7. Helmut und Gertraude Maxa Freitag, 19. April 2024

    Dankeschön für den Beitrag, der uns erst seit diesem Moment bekannt ist. Wir werden stets an deiner Seite stehen als Eltern. LG M+ P

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