Bildungsweise

Susanne Posselt

Hilf mir, es selbst zu tun

Die Gartenschule Karlsruhe: Eine staatliche Montessorigrundschule mit Jahrgangsmischung

Nur wenige Tage nach meinem Besuch in der Alemannenschule Wutöschingen habe ich eine weitere Gelegenheit genutzt, Einblicke in die Choreografie des Lernens in heterogenen Gruppen gewinnen zu können.

Die Gartenschule in Karlsruhe arbeitet schon seit vielen Jahren nach einem ausgeklügelten Konzept der Jahrgangsmischung nach den Prinzipien der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori. Fast alle Lehrkräfte haben hier das Montessori-Diplom. Mein allererstes Semesterpraktikum hatte ich vor 16 Jahren bereits hier absolviert. Nun durfte ich erneut einen Vormittag lang im Unterricht einer wunderbaren Personalratskollegin hospitieren.

Das Montessorikonzept ist mir grundsätzlich vertraut. Ich habe einige Jahre als Schulbegleiterin in einer Montessorischule gearbeitet und kenne die Grundprinzipien dieser Pädagogik. „Hilf mir, es selbst zu tun.“ ist eine der obersten Maximen nach Maria Montessori.

Mit der veränderten Perspektive nach mehr als zehn Jahren Schuldienst war ich sehr neugierig, was mir nun auffallen würde.

Vorbereitete Lernumgebung, Rolle der Lehrkraft

Zentral ist auch hier die vorbereitete Lernumgebung.

Durch viele, sehr stark ritualisierte Abläufe und Strukturen wissen die Kinder, selbst Erstklässler, stets, was wann wie und wo zu tun ist.

Ordnung, Farben und Rhythmen strukturieren das Lernen.

Gleichzeitig ist die Präsenz und Allgegenwärtigkeit der Lehrkraft von entscheidender Bedeutung. Sie ist Ankerpunkt und Sicherheit für die Kinder. Sie sorgt durch eine ruhige Bestimmtheit dafür, dass die Gruppe bei der Sache bleibt und sich dem Lernen widmet. Dabei bedient sie sich der Kraft der Gruppe. Auch die Jahrgangsmischung hat hier eine wichtige Funktion für Übergabeprozesse und das Einüben der metakognitiven Lernprinzipien.

Zielklarheit und Zielorientierung

Es muss allen am Bildungsprozess der Kinder beteiligten Menschen klar sein, was das Ziel von Schule ist. Am Erreichen dieses Ziels müssen alle Beteiligten gemeinschaftlich arbeiten.

Selbstständigkeit und Gemeinsinn

Ziel von Erziehung (und damit auch Schule) ist es, Kinder und Jugendliche zu einem eigenständigen Leben in Verantwortung für eine Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten zu befähigen. Schule muss dementsprechend auch beides fördern: Eine an Zielen orientierte Selbstständigkeit und Werte der Gemeinschaft: Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Perspektivübernahme und das Einüben demokratischer Entscheidungsprozesse.

Führung auf Augenhöhe mit gemeinsamer Zielklarheit

Am eindrücklichsten empfand ich im Rahmen dieser Hospitation die spürbare Klarheit auf unterschiedlichsten Ebenen. Ein offenes und flexibles Konzept bedeutet keinesfalls, dass sich die Lernprozesse der Kinder in der Beliebigkeit verlieren. Im Gegenteil. Die Führungsebene, sowohl auf Klassen- als auch auf Schul- und Schulleitungsebene ist von entscheidender Bedeutung. Nicht nur die Kinder, auch die am Prozess beteiligten Erwachsenen brauchen Orientierung an einem gemeinsamen Ziel.

Diese Erkenntnis nehme ich mit ins neue Jahr und in meine neue Aufgabe.

Bevor ich in diesem Blog einen Schlusspunkt hinter meine persönliche Lernreise im Jahr 2023 setze, möchte ich jedoch noch ein paar Gedanken loswerden, die wir alle am Schulleben Beteiligten in das neue Jahr mitnehmen sollten:

Exkurs: Zum Verhältnis von Familie und Schule

Uns muss klar sein, dass mit zunehmender Erwerbstätigkeit beider Elternteile Schule mehr und mehr eine familienersetzende Funktion übernimmt. Das mag uns gefallen oder nicht, es ist jedoch, je nach Lage und sozioökonomischem Einzugsgebiet der Schule eine Tatsache, mit der umzugehen ist. Hinzu kommen digitale Medien, die unser aller Leben zunehmend in einer Weise bestimmen, die vor 15 Jahren noch nicht vorstellbar erschien. Viele Eltern brauchen längere Betreuungszeiten und haben gleichzeitig weniger Ressourcen für gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern. Digitale Geräte übernehmen Beziehungs- und Kommunikationsfunktionen, können sie aber nicht ersetzen. Da Schule immer Spiegel der Gesellschaft ist, spüren wir hier die Auswirkungen früh. Beziehungs- und Kommunikationskompetenzen von Kindern, die noch vor 15 Jahren als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnten, bringen diese nicht mehr mit.

Es bringt wenig, sich ausschließlich mit einer kleinteilig messbaren Unterrichtsqualität zu befassen, wenn sich die Voraussetzungen vieler Kinder so gravierend geändert haben. Ein Zurück zu einem vermeintlich besseren „Früher“ kann es hier nicht geben. Es ist also dringend geboten, dass wir uns spätestens ab jetzt Gedanken über die gesellschaftliche Funktion von Schule machen sollten.

  • Wer kümmert sich um die Kinder?
  • Welches Ziel hat Schule?
  • Wie gehen wir mit der Digitalität um?
  • Was sind die Aufgaben von Lehrkräften?
  • Womit verbringen wir unsere Zeit?
  • Welche Bedeutung haben menschliche Beziehungen?
  • Woran misst sich Erfolg?
  • Womit können wir zufrieden sein?
  • Auch welche Zukunft bereiten wir uns und unsere Kinder vor?
  • Wie gehen wir mit Unsicherheit um?

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Kommentar verfassen

© 2024 Bildungsweise

Thema von Anders Norén