Bildungsweise

Susanne Posselt

Politische Bildung – Antifaschistische Bildung

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Der Vorschlag zu dieser Edublogparade Nr. 6 kam von Jan-Martin Klinge. Ich gebe zu, zunächst habe ich etwas Widerstand verspürt, mich zu diesem Thema zu äußern. Der ursprüngliche Titel lautete: Politische Bildung in der Schule. Ich weiß nicht mehr genau, wie es dann dazu kam, dass wir dieses Thema in Richtung Antifaschismus erweitert haben.

Bevor ich nun in dieser Weihnachts- und Zwischenjahreszeit mit dem letzten Beitrag unserer Edublogparade 2024 das Jahr abschließe, will ich diesen Beitrag endlich nachreichen. Meine Frage lautet: Warum sollte sich die Schule mit politischer und insbesondere auch antifaschistischer Bildung befassen? Eine wichtige Frage, besonders in diesen Tagen, in denen wir unter dem Schock der schrecklichen Amokfahrt auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt stehen. 

Ich bin im Herzen Historikerin und habe mich1 zunächst einmal mit den Begriffen befasst. Was ist eigentlich Faschismus? Diese Frage muss man schließlich zuerst beantworten, bevor man sich mit der Frage nach einer antifaschistischen Bildung beschäftigen kann. Schon der Wikipedia-Eintrag zu Faschismus zeigte mir deutlich: so einfach, wie man gemeinhin denkt, ist es nicht.

Neben dem Wikipedia-Artikel habe ich schließlich noch weitere wissenschaftliche Aufsätze zum Thema gelesen, die mir einen kurzen, aber fundierten Überblick über den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand geben konnten.2

Der Begriff Faschismus stammt ursprünglich aus dem Italienischen (fascio) und bezeichnete dort im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein politisches Bündnis von Landarbeitern, die mit Streiks und Protesten gegen die Besitzer der großen Ländereien und gegen ihre unhaltbaren Arbeitsbedingungen vorgingen. Die wenige Jahrzehnte später von Benito Mussolini gegründete linksnationalistische Antipartei Fasci italiani di combattimento „einte der nationalistisch motivierte, kämpferische Aktionismus, eine durch den Krieg radikalisierte Gewaltbereitschaft, eine antibourgeoise wie antimarxistische Haltung und die Verachtung der althergebrachten politischen Kaste und Praxis.“

Halten wir fest: Faschismus war ursprünglich eine gewaltbereite Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts, die die Idee der Nation vertrat und sich gegen die alte Ordnung des Bürgertums und die Ideen des Marxismus aussprach. Man wollte – notfalls mit Gewalt – die Vision einer „Volksgemeinschaft“ etablieren, die die Konflikte zwischen Bürgertum und der Arbeiterklasse überwinden sollte. 

Mir ist bewusst, dass diese Definition komplexe historische Ereignisse sehr stark vereinfacht. Ich versuche dennoch herauszuarbeiten, was die zentralen Elemente der verschiedenen faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts waren und warum es in der Schule wichtig ist, sich dagegen auszusprechen:

  1. Die Idee eines „Volkes“, einer „Nation“, einer „Rasse“ und damit einhergehend Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
  2. Die Idee einer mächtigen Führungsperson, der sich alle im Sinne eines Führerprinzips unterzuordnen haben
  3. Die Bereitschaft zur Gewalt

Zu 1. Volk, Nation oder Rasse statt Mensch

Das Bedürfnis zu einer sozialen Gruppe zu gehören, „soziale Eingebundenheit“, ist ein psychologisches Grundbedürfnis (Deci & Ryan 1993). Aus dieser Blickrichtung erscheint es nachvollziehbar, dass Menschen dazu neigen, sich zu einer Gruppe zugehörig zu fühlen, die sich über eine gemeinsame Herkunft definiert und die „das Fremde“, das „Andersartige“ ablehnt. Wir leben jedoch in einer globalisierten Welt. Freiheit und Freizügigkeit sind wichtige Werte unseres Grundgesetzes. Für mich persönlich kann und darf es keinen Unterschied zwischen Menschen verschiedener ethnischer Herkunft geben (Zumal sich diese Verschiedenheiten in einer Welt, in der man mit einem Flugzeug in kurzer Zeit einmal rund um den Globus reisen kann, mehr und mehr verwischen). Ich bin kein besserer oder schlechterer Mensch, nur weil meine Vorfahren zufälligerweise größtenteils aus dem nordeuropäischen Raum stammen (so genau weiß ich das natürlich nicht, meine helle Hautfarbe lässt es jedoch vermuten). Ich bin einfach ein Mensch. Jeder Mensch, egal, wie er aussieht oder woher er kommt, hat Menschenrechte. Dieses Grundrecht ist in unserem Grundgesetz verankert und ich denke tatsächlich, wir müssten uns häufiger selbst daran erinnern: 

Artikel 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Der Begriff Rasse wird hierbei schon seit längerem – wie ich finde, zu Recht – diskutiert: Über Rassen sprechen wir eigentlich nur noch bei Tieren. Und selbst da sollte man sich die Frage stellen, ob diese Idee am Ende nicht schädlich für die Tiere sein könnte. Das Deutsche Institut für Menschenrechte empfiehlt, den Begriff „Rasse“ in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz zu streichen und die Regelung wie folgt zu fassen: „Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Zu 2: Führerprinzip statt demokratischer Mitbestimmung

Wenn man, wie ich, tiefere Einblicke in demokratische Entscheidungsprozesse hat und Gremienarbeit kennt, weiß man, wie mühsam und anstrengend das oft ist. Man trifft sich in stundenlangen Sitzungen, muss lange Texte lesen, über die man dann immer wieder stundenlang diskutiert, um am Ende wieder einen langen Text zu erhalten, auf den sich die Mehrheit einigen konnte. Es gibt viele solcher Texte und ganze Berufsgruppen, die sich nur damit beschäftigen. Gesetze, Verordnungen, Stellungnahmen, Erlasse. So heißen sie. Als Landesbeamtin kenne ich viele dieser Texte und weiß, dass sie die Richtschnur meines Handelns sind. Ich gebe zu: Manchmal bin auch ich müde und wünsche mir, dass irgendjemand jetzt einfach mal eine Entscheidung trifft. 

Niemand hat je gesagt, dass Demokratie einfach ist. Je mehr Menschen mitreden, umso schwieriger ist es, sich zu einigen. Wir alle kennen das: Aus der Familie, aus dem Fußballverein, aus dem Klassenrat. 

Die Frage ist: Wollen wir diese anstrengende Arbeit tatsächlich einem allmächtigen „Führer“ opfern? Kann es  eine solche Person überhaupt geben? Die Geschichte sagt: Nein. Alle Führerpersönlichkeiten der Vergangenheit waren – ebenso wie wir – Menschen. Mit Schwächen und Fehlern. Das ist normal. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Alternative zu den Anstrengungen der demokratischen Entscheidungsfindung geben kann. Ich bin allerdings  auch der Meinung, dass wir neue Wege finden müssen, um mehr Menschen in diese Prozesse einbinden zu können. Wir müssen die Hürden niedriger gestalten: Damit auch jene unseren Staat mitgestalten können, die Schwierigkeiten haben, lange Texte zu lesen, sich lange zu konzentrieren oder deren Sprachkompetenz nicht ausreicht, um schwierige Texte schnell zu verstehen. 

Und wir dürfen die Lösung dieser Probleme nicht dem TikTok-Algorithmus überlassen!

Zu 3: Gewalt statt Friedfertigkeit

Allgemein bedeutet Gewalt „den Einsatz von physischem oder psychischem Zwang gegenüber Menschen sowie die physische Einwirkung auf Tiere oder Sachen.“

In der Soziologie bedeutet Gewalt „den Einsatz physischer oder psychischer Mittel, um einer anderen Person gegen ihren Willen a) Schaden zuzufügen, b) sie dem eigenen Willen zu unterwerfen (sie zu beherrschen) oder c) der solchermaßen ausgeübten G. durch Gegen-G. zu begegnen.“ 

In der Schule wollen und müssen wir auf bestimmte Formen der psychischen und grundsätzlich auf physische Gewalt verzichten.  In Deutschland haben Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Und das ist gut so. Ich bin davon überzeugt: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Sie ist keine nachhaltige Lösung für Konflikte. Gleichzeitig ist mir sehr bewusst, dass die Ausübung von physischer und psychischer Gewalt etwas Urmenschliches ist und – auch das wissen wir – manchmal nicht zu verhindern ist. 

Deshalb ist es natürlich auch zu einfach zu sagen: Wir wollen keine Gewalt. Erwachsene üben regelmäßig Gewalt über Kinder aus, um sie vor Schaden zu bewahren, weil Kinder noch nicht über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügen, um stets im Sinne der Gemeinschaft zu handeln oder auch um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Dazu fallen mir unzählige Beispiele ein. Auch der berühmt-berüchtigte Paragraph 90 im Schulgesetz Baden-Württemberg ist eine Form von Gewalt.

Der Gegenbegriff zu Gewalt könnte „Einvernehmen“ sein. Wir einigen uns auf etwas. Das setzt die Einsichtsfähigkeit beider Konfliktparteien voraus. 

Wenn wir wollen, dass die Welt im Großen auf Gewalt weitgehend verzichten kann, müssen wir im Kleinen anfangen. In der Schule.

Es mag idealistisch klingen, aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir Frieden in der Welt wollen, müssen wir bei den Kindern und unseren Erziehungsgrundsätzen anfangen. Wir müssen ihnen vorleben, wie man Konflikte und Streit ohne Gewalt löst und am Ende zu einer Einigung kommt. Wir müssen ihnen zeigen, dass es möglich ist, friedlich miteinander zu leben und dass es Alternativen zu Krieg und Gewalt gibt. Das setzt voraus, dass wir uns nicht von unseren spontanen Impulsen leiten lassen, sondern durch intensives Nachdenken und Gespräche zu Lösungen kommen. Das ist mühsam, aber am Ende lohnt es sich. 

Fazit

Ich fasse zusammen: Es gibt viele Argumente warum Schule ein zentraler Ort für politische Bildung ist und warum diese Bildung antifaschistisch sein muss. Schule ist der Ort, den alle Kinder durchlaufen. Sie ist ein Ort der Gemeinschaft, weil Lernen in größeren Gruppen stattfindet. Wir sehen an vielen Stellen im Schulalltag, dass diese Tatsache ein zunehmend größeres Gewicht bekommt. Manchmal ist Schule nämlich inzwischen der einzige Ort, wo Kinder das Zusammenleben in Gemeinschaft lernen können. Weil zu Hause keine Gemeinschaft mehr stattfindet. Weil Familienstrukturen sich zunehmend aufgelöst haben. Oder auch, weil Kinder in dieser kleinsten Einheit der Gemeinschaft Gewalt und keine friedliche Konfliktlösung erleben. Weil sie erleben, wie Erwachsene sich von ihren Impulsen leiten lassen und – im Zweifel übers Internet – Gewalt in Form von Hasskommentaren ausüben. 

Ich positioniere mich hier ganz klar: Schule muss ein Ort der Gemeinschaft sein, weil wir alle aufeinander angewiesen sind. Schule muss ein Ort der Menschlichkeit sein, weil alle Menschen gleich wertvoll sind und die gleichen Grundrechte haben. Schule muss ein Ort sein, wo Kinder und Jugendliche Mitbestimmung lernen, um nicht dem Wunsch nach einem allmächtigen Führer zu erliegen, der alles für sie bestimmt. Wir brauchen eine demokratisch organisierte Schule und Zeit, damit Kinder die Grundprinzipien und Vorzüge der Demokratie durch eigenes Erleben erfahren. 

Ich schließe diesen Beitrag am 23. Dezember 2024 ab. Eben erst hat sich ein gewaltsamer Vorfall ereignet, der viele Menschen aus dem Leben gerissen hat. Ein Mann, 50 Jahre alt, gebildet (er war Arzt), hat ein großes Auto in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg gelenkt. Ein Weihnachtsmarkt. Ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um friedlich zu feiern, zur Ruhe und zur Besinnung zu kommen. Ein Ort des Friedens. Fassungslosigkeit und Entsetzen sind die angemessenen Reaktionen darauf. Wie konnte das passieren? Unser erster Impuls ist der Wunsch nach schnellen Antworten auf diese Frage. Aber die kann es nicht geben.

Ich wünsche mir, dass wir uns in diesen Tagen auf unsere Grundwerte besinnen. Auf das Menschsein. Auf friedliche Konfliktlösungen. Auf Mitmenschlichkeit, Empathie und Herzensbildung. Hass erzeugt Hass. Gewalt erzeugt Gewalt. Es liegt an uns, diesen Kreislauf zu durchbrechen und unsere Werte zu verteidigen. Deshalb muss politische und insbesondere antifaschistische Bildung ein Leitprinzip in der Schule sein.
Frohe Weihnachten! 

P.S.: Zu diesem Thema hat Esther Delatrée einen lesenswerten Gastbeitrag geschrieben, den ihr hier findet: Nicht in die Schultüte gelegt – Historisches Lernen zu Diskriminierung und Kinderrechten

  1. Randbemerkung für jene, diese nicht wissen: Der Beginn meines Lehramtsstudiums vor vielen Jahren und vor meinen vielen Kindern fand an der ehrwürdigen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg statt. Dort habe ich Geschichte und Germanistik für Gymnasiallehramt studiert und wichtige Grundprinzipien geisteswissenschaftlichen Arbeitens gelernt, von denen ich heute noch profitiere. ↩︎
  2. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17480/faschismus/
    https://docupedia.de/zg/Faschismus
    https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2008-3/Reichardt_Faschismusforschung.pdf ↩︎

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