Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dies ist die achte Runde.
Mein Beitrag zur Edublogparade Nr. 8
Denkanstöße
Lehramt studieren
Vor einigen Wochen kam meine jüngste Tochter (zu dieser Zeit im freiwilligen sozialen Jahr in einer Kita) zu mir und fragte mich folgenden Satz: „Mama, ist es eigentlich schlimm, wenn ich das Gleiche mache wie du?“
Regelmäßige Leser:innen dieses Blogs werden wissen, was die Mama macht. Die Mama ist Lehrerin. Sie ist so sehr Lehrerin, dass sie es in der Öffentlichkeit teilt und sich auf verschiedensten Ebenen für diesen Beruf politisch einsetzt.
Ich, die Mama, musste zunächst kurz lachen. In dieser Frage schwingen mehrere Botschaften mit.
- Was meint sie mit schlimm? Ist der Beruf schlimm? Hat er einen schlimmen Ruf? Ist es schlimm, wenn sie in meine Fußstapfen tritt?
- Geht es eigentlich darum, dass sie Sorge hat, man könnte sie mit mir vergleichen? Geht es um das Fach Kunst, was sie anstrebt? (Eine Randbemerkung zur Erklärung: Ich habe Kunst im Hauptfach studiert und es nicht nur studiert, sondern gelebt. Ich war lange Jahre als Tutorin tätig. habe im Beruf dann Studierende im ISP (integriertes Semesterpraktikum) betreut und zuletzt auch Lehraufträge im Fach Kunst wahrgenommen. Kunst durchzieht mein Leben. Ich habe immer schon gezeichnet und gemalt und hatte in der Schule den Leistungskurs Kunst.)
- Welche Bedenken könnte man gegen eine solche Berufswahl anbringen? Schwingt da vielleicht auch ein bisschen die Beobachtung mit, dass es in Baden-Württemberg auch bei den Lehrämtern eine Art Klassismus zu geben scheint? Muss sie sich dafür rechtfertigen, dass sie sich für ein Studium an der Pädagogischen Hochschule entschieden hat, ein Lehramtsstudium, was oft als ein Lehramt zweiter Klasse wahrgenommen wird? Wer an einer pädagogischen Hochschule studiert, hat es vielleicht einfach nicht an die Uni geschafft? Das gymnasiale Lehramt wird als eine Art Krone der Lehramtsschöpfung wahrgenommen. Wer ist bis zur Gymnasiallehrbefähigung geschafft hat, gilt als etwas Besseres. Ist es das?
Dass ich erst Ende Oktober, mit dem Schreiben an diesem Blogbeitrag begonnen habe und er erst jetzt, Ende November 2024, fertig ist, zeigt vielleicht, wie sehr ich über diese eine Frage nachgedacht habe.
Lehrerin sein als Haltung
Eine vielleicht irritierende Zwischenüberschrift. Und doch sagt sie viel über mein Selbstverständnis aus. Ich bin immer Lehrerin. Jeden Tag. Auch am Wochenende und in den Ferien. Auch, wenn ich so erkrankt bin, dass ich meinen Dienst in der Schule nicht ausüben kann. Es beglückt mich, wenn ich auf die Lebenswege anderer einen positiven Einfluss ausüben kann. Das geschieht oft auch implizit, gar nicht bewusst von mir intendiert.
Alles an mir ist eine Lehrerin (im positiven, wohlwollenden und begeisternden Sinn). Ich bin nicht erst Lehrerin, wenn ich die Schule betrete und lege diese Eigenschaft auch nicht ab, wenn ich diesen Ort wieder verlasse.
Ich bin Lehrerin, nicht nur für meine Schülerinnen und Schüler, sondern für die Welt. Dabei lege ich Wert darauf, dass es nicht darum geht, Menschen zu BElehren. Es geht mir viel mehr darum, Haltung zu zeigen. Als Lehrerin habe ich einen Eid auf die Verfassung abgelegt. Ich bin Beamtin. Ich habe mich dazu verpflichtet, mein ganzes Leben diesem Auftrag zu widmen. Und ich nehme ihn sehr ernst. Mein Land hat sehr viel Geld in meine Ausbildung investiert, damit ich für andere komplexe Zusammenhänge analysiere und sie verständlich aufbereite. Das endet nicht an der Schwelle des Schulhauses.
Selbst im Krankenhaus war ich Lehrerin. Ich war aktives Anschauungssubjekt (nicht Objekt) in der Pflegeausbildung. Junge Menschen haben an mir und meiner Person gelernt, wie sie menschenwürdig und respektvoll mit Patient:innen umgehen. Andere Patient:innen haben an meinem Beispiel gelernt, wie es möglich sein kann, mit einer lebensbedrohenden Diagnose so umzugehen, dass die Freude über den medizinischen Fortschritt und die Chance einer vollständigen Heilung den Schmerz über lebenslange Einschränkungen überwiegt. Ich war und bin
- Beraterin in Fragen der Krankheitsbewältigung und
- Begleiterin von Lebenswegen und Lerngeschichten.
- Lehrerin und Lernbegleiterin
Ich verstehe meinen allumfassenden und lebenslangen Lehrauftrag als Begleitauftrag. Ich lebe vor, zeige, wecke Aufmerksamkeit und begleite. Mir ist sehr bewusst, dass Lernen im Sinne von Bildung ein eigenaktiver Vorgang ist.
Meine Schüler:innen sind alterslos. Sie lernen von mir, egal, wie alt sie sind und ich lerne von ihnen. Immer und mit Freude. Ich bin neuigierig auf ihr Leben und begleite es mit großem Interesse.
Mit Belastungen und Unzulänglichkeiten umgehen
Was täte ich, wenn ich die veränderten Umstände meines Berufes als große und unlösbare Belastung wahrnehmen würde? Ich schließe das nicht aus. Möglicherweise kommt der Tag, an dem mein Gesundheitszustand sich so verschlechtert, dass es mir nicht mehr gelingt, meinen Beruf vor Ort in der Schule auszuüben. Zum Glück sieht es im Moment nicht danach aus. Aber selbst wenn es so wäre, es änderte nichts an der Tatsache, dass ich Lehrerin bleibe, dann eben an anderer Stelle.
Vielleicht ist das auch der Grund, dass ich meinen Frieden geschlossen habe, mit den unabänderlichen Rahmenbedingungen meines Berufes. Es bedeutet nicht, dass ich mich nicht dafür einsetze, dass es besser wird. Nicht umsonst, habe ich mich als Kandidatin für den Hauptpersonalrat aufstellen lassen, und nehme dieses Mandat und den damit verbundenen Auftrag sehr ernst.
Ich weiß jedoch, dass sich die ungünstigen Umstände an meinem Berufsalltag nicht kurzfristig und schnell ändern lassen. Es wird weiterhin so sein, dass die Personaldecke sehr dünn ist, dass ich mehr als eine Klasse gleichzeitig beaufsichtigen muss, dass ich flexibel bleiben und in der Lage sein muss, jederzeit von Plänen abzuweichen.
Im Austausch
Meine jüngste Tochter ist inzwischen mitten im Studium angekommen. Sie stürzt sich mit großer Begeisterung in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Theorien zur Bildung und Erziehung, zum Lehren und Lernen. Sie zieht mich in ihrer Begeisterung mit und so finden hier abends am Esstisch inzwischen kleine Privattutorien statt. Sie liest ihre Texte und versucht im Austausch mit mir zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Gleichzeitig bieten mir diese Gespräche eine wunderbare Gelegenheit, meine tägliche Praxis erneut mit den theoretischen Überlegungen der wissenschaftlichen Pädagogik abzugleichen, mich selbst zu überprüfen und mein Verständnis zu vertiefen.
Was ich in dieser Auseinandersetzung mit meinem Lehrerinnensein ganz neu erkannt habe: Lehrerin zu sein ist keine Einbahnstraße. Es ist vielmehr eine Lebenseinstellung. Eine Haltung zu den großen Fragen der Welt.
Was für ein Geschenk, die Welt auf diese Weise erkunden und erfahren zu dürfen!
In den letzten Tagen haben wir oft darüber gesprochen, welch ein Privileg es ist, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der es eine große Offenheit, Interesse an der Welt und am anderen sowie eine anregungsreiche Umgebung gab und gibt. Momentan denken wir darüber nach, euch – die Welt – an unseren Gesprächen über Bildung teilhaben zu lassen. Wir wissen noch nicht genau, wie wir es machen. Vielleicht als Podcast? Als Video? Im Blog?
Hast du Ideen dazu? Ich freue mich über Gedanken und Kommentare.
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