Bildungsweise

Susanne Posselt

„Der Staat kann nicht ganz nebenbei die Mütter ersetzen.“ 

Aladin El-Mafaalani hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt: „Kinder – Minderheit ohne Schutz.“ In der aktuellen Zeit gibt er ein Interview dazu. Über den dort verwendeten Titel „Der Staat kann die Mütter nicht ersetzen“ ärgert er sich zurecht. Der Titel zitiert einen Satz aus dem Interview verkürzt. So suggeriert er, dass es wieder einmal die „Schuld“ der Mütter sei, dass unsere Kitas und Schulen kollabieren. Und doch finde ich es wichtig, dass er das Thema aufgreift und benennt.

Auf einem beruflichen Internetportal hatte ich früher in meinem „Karriereverlauf“ immer auch die Zeiten aufgeführt, die ich mit meinen Kindern (am Ende waren es bekanntlich vier) zu Hause ohne gleichzeitige Erwerbstätigkeit oder offizielle Ausbildungszeiten verbracht habe. Ich möchte behaupten, dass ich enorm viel durch diese Zeit mit meinen Kindern gelernt habe.  Gesellschaftliche Anerkennung gab es leider wenig. Es war einfach selbstverständlich und am Ende hatte ich oft das Gefühl: Egal, wie ich mit der Situation umgehe, es ist immer irgendwie falsch. Meine Kinder wurden zu einer Zeit geboren, da gab es hier im Umland der großen Stadt noch keine Ganztagsbetreuungsangebote. Ich war noch im Studium und froh, als ich zur Entlastung zweimal in der Woche für drei Stunden einen „Minikindergartenplatz“ hatte. Später gab es Halbtagsplätze von 9 bis 12 Uhr und zweimal die Woche Nachmittagsbetreuung. 

Ich habe dann mit diesen vier Kindern und der Hilfe verschiedenster Netzwerke (Ehepartner, Tagesmutter, Leihoma) irgendwie mein Studium fortgesetzt. Eins der Kinder hatte zwischenzeitlich einen deutlich erhöhten Betreuungsbedarf, ich musste zusätzlich zum normalen Betreuungsaufwand mehrmals wöchentlich Therapeuten aufsuchen und habe sehr viel Zeit in Wartezimmern und bei runden Tischen verbracht. Inzwischen sind meine Kinder erwachsen, die Jüngste 20. Sie sind selbstständig und gehen ihren Weg. 

Ich sehe, unter welchem Druck die jungen Frauen stehen, weil man von ihnen verlangt, bitte wieder Vollzeit zu arbeiten, wenn das jüngste Kind ein Jahr alt ist. Und dann sehen sie sich mit einem unterfinanzierten und überforderten Kita-System konfrontiert und spüren, wenn ihre Kinder darunter leiden, dass verlässliche und stabile Beziehungen in so einer Situation nicht gewährleistet werden können. Gleichzeitig sind meine eigenen Eltern inzwischen in einem Alter, wo ich jeden Tag damit rechnen muss, dass sie pflegebedürftig werden. Und dann?

Wir schweigen diese Themen tot. Und es stimmt: Es gibt keine Strategie. Kann man es den jungen Frauen vorwerfen, wenn sie nicht möchten, dass ihre Kinder leiden? Wenn sie in Teilzeit arbeiten, weil sie ihren Alltag sonst nicht bewältigen können? Es ist ein Dilemma. Was also tun? 

Aladin El-Mafaalani fordert, dass die Boomer-Generation ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommt und sich einbringt. Tatsächlich war die ausschließliche Verantwortung der „Mütter“ für die Pflege und Erziehung ja auch nur eine historische Episode. „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Meine These ist: Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was uns unsere Kinder wert sind und wer arbeitsteilig die Aufgaben übernehmen kann, die für ihre gute Entwicklung notwendig sind. Ganz sicher können das nicht alleine die „Mütter“ sein.

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